nd-aktuell.de / 18.07.2017 / Kultur / Seite 16

Wankende blasse Gestalten

Der Filmregisseur George A. Romero, einer der Väter des modernen Horrorfilms, ist gestorben

Thomas Blum

Wir sehen blasse, unsicher hin- und herwankende Gestalten, die allem Anschein nach nicht mit einem Übermaß an Intelligenz gesegnet sind, mit stierem Blick orientierungslos durch ein großes Einkaufszentrum tapsen. In ihrem Oberstübchen ist alles abgestorben, da ist nichts mehr zu holen, so viel ist zu erkennen. Das Einzige, das sie antreibt, ist ihr Fresstrieb, der ihnen ihre Existenz erhält. Nun könnte man sagen: Und? Was ist daran so besonders? Ganz normale Einkaufszentrumskunden. Was ist schon dabei?

Doch die Kunden, die wir in dem Spielfilm sehen, von dem hier die Rede ist, sind sogenannte Zombies, wieder zum Leben erwachte Leichname.

In einem Interview mit dem »Spiegel« aus dem Jahr 2005 äußert der US-amerikanische Regisseur George A. Romero den Gedanken, »dass Zombies wie wir sind. Die größten Monster sind doch sowieso unsere Nachbarn, der schlimmste Horror befindet sich immer direkt nebenan.«

In seinem 1978 gedrehten Film »Dawn Of The Dead« (»Zombie«), der »gegenwärtig in vielen Ländern, darunter Deutschland, auf dem Index verrottet« (»Neue Zürcher Zeitung«) und in dem wir dabei zusehen können, wie die Untoten ihren menschlichen Opfern ganze Stücke aus dem Körper beißen und sich wie reißende Bestien über deren Innereien hermachen, hat Romero, einer der einflussreichsten Regisseure des modernen Horrorfilms, uns, den lebenden Toten des Konsumkapitalismus, einen Spiegel vorgehalten. Ja, das sind erkennbar wir: hirntote Massenwesen, empathielos, egoistisch, gleichmütig mordend, ausschließlich aufs eigene Fortkommen fixiert sowie jedes eigenen Wesenszugs beraubt. Und wir infizieren andere, machen sie zwanghaft zu unseresgleichen, jeden Funken Individualität ebenso vernichtend wie jede Spur von Subversion oder auch nur Differenz. Unsere Lebenswelt haben wir zu einer Sterbenswelt gemacht.

Seither hat der Zombie seinen Siegeszug durch die Populärkultur angetreten: Filme, Comics, Videospiele, Roman- und Fernsehserien, Computergames. Jedes Zeitalter hat die Monster, die es verdient. Der Zombie, der lebende Tote, ist unseres.

Schon mit seinem Regiedebüt, dem seinerzeit nur wenig mehr als läppische 100 000 Dollar teuren Low-Budget-Schwarzweißfilm »Night Of The Living Dead« (1968), in dem der schwarze Nobody, der sich später als Lebensretter und als der Held des Films entpuppen sollte, eine Gruppe in einem Farmhaus Eingeschlossener gegen eine Horde Zombies verteidigt, erregte Romero Aufsehen. Auch deshalb, weil in jener Ära, einer Zeit, in der in den USA der rassistische Lynchmord noch nicht vollständig aus der Mode gekommen war und die Bürgerrechtsbewegung sich noch lange nicht durchgesetzt hatte, afroamerikanische Helden im Film nicht existierten. Am Ende wird der Schwarze zum Opfer einer weißen Bürgerwehr, die das rassistische Amerika repräsentiert.

War es in der gängigen Mainstreamfilmware üblich, das siegreiche, Gerechtigkeit schaffende Individuum triumphieren zu lassen, so wird es hier ausgelöscht: Am Ende steht das ebenso tumbe wie gleichgeschaltete Kollektiv, seien es nun Zombies oder geifernde Rednecks.

Auch deshalb waren Romeros blutdurchtränkte und eine mal mehr, mal weniger versteckte pessimistische Sozialkritik formulierende Filme im Mainstreamkino nicht gern gesehen.

Über seine Erfahrungen mit den großen, dem Experiment gegenüber wenig aufgeschlossenen, den Massengeschmack bedienenden Hollywoodstudios sagte Romero vor einigen Jahren dem Filmmagazin »Ray«, man könne heute als Filmemacher »keine spontanen Entscheidungen mehr treffen oder improvisieren, jede Drehbuchänderung muss genehmigt werden. Und mehr Geld ist oft nicht genug, es gleicht nicht aus, was man an Freiheit verliert.«

George A. Romero starb am Sonntag in Toronto 77-jährig an den Folgen eines schweren Krebsleidens.