Niedrig stapeln

Kostenexplosionen

  • Christoph Driessen
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach der ursprünglichen Planung sollte der Steuerzahler 77 Millionen Euro zur Hamburger Elbphilharmonie beisteuern - es wurde zehnmal soviel. Die Kosten für die Sanierung der Berliner Staatsoper uferten von 239 Millionen auf mindestens 400 Millionen Euro aus. Die Sanierung der Kölner Bühnen wird nach derzeitigem Stand mehr als doppelt so teuer werden. Wie ist das möglich? Zum Teil könnte es mit Unfähigkeit und Schlamperei zu tun haben. Der technische Betriebsleiter der Kölner Bühnensanierung, Bernd Streitberger, sagte nach seiner Ernennung im vergangenen Jahr, es habe »eklatante Fehlleistungen« gegeben. Kürzlich kündigte Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) an, sie werde der Kulturdezernentin die Aufsicht über Bauvorhaben entziehen und diese künftig bei der städtischen Gebäudewirtschaft ansiedeln.

Stets wird auch auf die immer strengeren Vorschriften für Energietechnik und Brandschutz verwiesen. Grundsätzlich gibt es bei jedem großen Projekt Unwägbarkeiten. Doch das kann bei weitem nicht alles erklären, was bei Kulturbauten zu derartigen Kostenexplosionen führt. Entscheidend ist wohl etwas anderes: Projekte, bei denen man von Anfang an realistisch kalkulieren würde, hätten nach Überzeugung vieler Stadtpolitiker keine Chance, jemals verwirklicht zu werden. Die Kosten wären der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln, heißt es. »Deshalb stapeln die Bauunternehmen erstmal niedrig und versuchen dann im Laufe des Projekts, die Kosten zu erhöhen«, erläutert Timo Braun, Juniorprofessor für Projektmanagement an der Freien Universität Berlin.

Die Politik steht bei einer Ausschreibung unter großem Druck, den günstigsten Anbieter auszuwählen. Das ist aber nicht unbedingt der beste und ehrlichste. »Den Politikern ist es schon bewusst, dass es bei den anfänglich veranschlagten Kosten nicht bleiben wird«, sagt Braun. »Aber sie haben keine andere Wahl, als das Spiel der Vergabepraxis bei öffentlichen Projekten mitzuspielen.«

Einen anderen Weg wollte man jetzt in Frankfurt gehen, wo die Städtischen Bühnen aus dem Jahr 1963 ebenfalls saniert werden müssen. Die Stadt ließ vorab drei Varianten detailliert prüfen: Teilsanierung, Gesamtsanierung, kompletter Neubau. Ergebnis: Alles kostet deutlich über 800 Millionen. »Das ist erstmal erschreckend, aber dafür realistisch«, sagt der beauftragte Gutachter Jörg Friedrich aus Hamburg. »Jetzt hat die Stadt Frankfurt ein Arbeitsgerät an der Hand, mit dem sie sich ein Theatersanierungskonzept am vorhandenen Standort differenziert zusammensetzen kann.« Aus einer Fülle von Teilmodulen könne die Stadt die entsprechenden Kostenbausteine miteinander kombinieren, erläutert Friedrich. »Eine derart differenziert aufgebaute modulare Baustein- und Kostenstruktur ist gut geeignet als Grundlage für eine stadtpolitische Entscheidung.« Die Politik reagierte jedoch überwiegend schockiert auf die Zahlen. Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) stellte klar, »dass die in der Studie genannten Summen nicht akzeptabel sind und neu geplant werden muss«. Er fügte hinzu: »Unsere kulturpolitischen Ziele liegen nicht in Infrastrukturfantastereien, sondern in qualitativ hochwertigen Angeboten für Bürger.« dpa/nd

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