Der Fall O.J. Simpson

Im ewigen Zweifel für den Angeklagten, doch vom Mordvorwurf konnte er sich nicht reinwaschen

  • Fabian Wegener, Carson City
  • Lesedauer: 3 Min.

Beim Auftritt des Ex-Footballstars O.J. Simpson vor dem Bewährungsausschuss im US-Staat Nevada - per Videokonferenz aus dem Gefängnis zugeschaltet - sollte vor allem eines nicht zur Sprache kommen: der über 20 Jahre zurückliegende Mordverdacht gegen den Ex-Footballstar.

Seit fast neun Jahre sitzt Simpson in der Haftanstalt Lovelock in Nevada ein. Diese will er im Oktober als freier Mann verlassen - und setzt dabei auf eine emotional aufgeladene Verteidigungsstrategie. Der inzwischen 70-Jährige hat damit Erfolg: Das Gremium gibt seinem Antrag statt - im Oktober kommt er auf freien Fuß.

2007 war O.J. Simpson mit mehreren Komplizen in ein Hotelzimmer im Hotel-Casino Palace Station in Las Vegas eingedrungen und hatte zwei Sammler von Fanartikeln gezwungen, ihm persönliche Erinnerungsstücke auszuhändigen. Simpson wurde wegen bewaffneten Raubes und Körperverletzung zu maximal 33 Jahren Haft verurteilt. Von der Sportikone war nicht mehr viel übrig. Das Gesicht wirkte müde, der Gang kraftlos.

Sichtlich schlanker schildert Häftling Nr. 1027820 nun, was sich bei dem Überfall aus seiner Sicht zugetragen haben soll. Er habe niemals mit einer Waffe auf jemanden gezielt oder Drohungen ausgesprochen. »In keiner Weise oder Form habe ich ihnen etwas Böses gewollt«, beteuert er und verweist auf sein »musterhaftes Benehmen« hinter Gittern.

Die Zuschauer erfahren, dass Simpson während seiner Haftzeit eine Gebetsgruppe gegründet hat, Computerkurse absolviert und Sportteams coacht. »Ich bin wahrscheinlich der vorbildlichste Häftling, den sie hier je hatten«, sagt der 70-Jährige. Rückendeckung bekommt er von seiner jüngsten Tochter Arnelle, die in einem emotionalen Appell um die frühzeitige Entlassung ihres Vaters bittet. »Er ist mein bester Freund, mein Fels«, sagt sie unter Tränen. »Wir wollen einfach, dass er zurück nach Hause kommt«, liest sie in flehendem Ton von ihrem Notizblatt ab.

Selbst das Opfer des Raubüberfalls, Bruce Fromong, nimmt ihn in Schutz. »Ich glaube, dass O.J. in die Irre geführt wurde«, sagt er, der sich als langjährigen Freund Simpsons bezeichnet. Er bestätigt Simpsons Darstellung, dass sich zwischen den Souvenirs Gegenstände aus dessen Privatbesitz befunden hatten, die ihm entwendet worden waren. »Es ist an der Zeit, diesem Mann eine zweite Chance zu geben«, empfiehlt er dem Begnadigungsausschuss. Tatsächlich scheint da alles für eine vorzeitige Entlassung des »Mustergefangenen« zu sprechen. Wenn da nicht der Schatten der Vergangenheit wäre, den O.J. Simpson nie abzustreifen vermochte. 1994 stand er wegen des Vorwurfs vor Gericht, seine Ex-Frau Nicole Brown und ihren Freund Ron Goldman ermordet zu haben. 95 Millionen Zuschauer verfolgten damals live im Fernsehen, wie O.J. sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei lieferte. In einem Verfahren, das von den Medien als »Prozess des Jahrhunderts« bezeichnet wurde, sprachen ihn die Geschworenen nach neun Monaten im Oktober 1995 trotz erdrückender Beweislage überraschend frei.

Umfragen von damals wie heute zeigen, dass die meisten Amerikaner Simpson für den Täter halten. 1997 verlor er einen von den Hinterbliebenen der Opfer angestrengten Zivilprozess und wurde zur Zahlung von über 30 Millionen Dollar an die Angehörigen verurteilt. Umso größer war die Genugtuung für die Angehörigen der Mordopfer, als Simpson 2008 in dem Raubprozess zu 33 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Die Höhe des Strafmaßes erschien vielen Menschen überraschend hoch. »Es ging nicht um Gerechtigkeit«, hatte das Opfer Fromong in der mit einem Oscar prämierten Dokumentation »O.J.: Made in America« gesagt. »Sie wollten den Mann drankriegen, der 1994 mit Mord davongekommen ist.«

Der Mordprozess bleibt diesmal außen vor. Einstimmig setzt das Gremium in Nevada die Reststrafe im Raubfall zur Bewährung aus. Bei Twitter bricht ein Sturm der Entrüstung los. Die meisten Reaktionen verweisen auf den Mordfall von 1994, lassen keinen Zweifel erkennen, dass die Mehrheit der Online-Community auch heute noch von der Schuld Simpsons überzeugt ist. Die Reaktionen zeigen: Simpson mag seine Freiheit wiedererlangen. Eine gesellschaftliche Rehabilitation, so scheint es, ist jedoch in weiter Ferne. dpa/nd

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