nd-aktuell.de / 26.07.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 16

Personalnot auf der Intensivstation

Gutachten: Den Krankenhäusern fehlen Tausende Pflegefachkräfte

Ulrike Henning

Mindestens 3150 Pflegestellen auf Intensivstationen in deutschen Krankenhäusern sind nicht besetzt. Die Hälfte der Kliniken hat Probleme, für diese Stellen geeignete Bewerber zu finden. Ein Viertel der Häuser kann Vorgaben zur Mindestbesetzung nicht erfüllen. Trotzdem präsentierte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) diese Zahlen am Dienstag mit der Einschätzung, dass die Versorgung der Patienten »objektiv gut« sei. Ende vergangenen Jahres hatte die Organisation bei 1261 Kliniken nach der Personalsituation auf Intensivstationen gefragt, 314 antworteten.

Maximal zwei Patienten pro Schicht dürfte eine Pflegekraft betreuen, fordert etwa die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Nach dem aktuellen DKG-Gutachten liege der Wert bei 2,2 Fällen, werde also »im Mittel erreicht«. Fraglich ist aber, was das für Patienten mit »speziellen oder besonders schweren Erkrankungen« bedeutet - hier könne laut DIVI nämlich oftmals eine Eins-zu-eins-Betreuung notwendig sein. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kritisierte, dass diese Fachstandards auf fast 90 Prozent der Intensivstationen missachtet würden, insbesondere während der Nachtdienste. Umfragen wie der »Nachtdienstreport« von ver.di sind für die Krankenhausgesellschaft allerdings nicht repräsentativ. Sie fallen offenbar unter die allgemein beklagte Tendenz, »Pflege schlecht zu reden«. Letzteres löste unter anderem bei DKG-Präsident Thomas Reumann besonderen Unmut aus.

Ingesamt arbeiten 50 000 Pflegekräfte auf Intensivstationen, die Hälfte davon ist zusätzlich speziell für die Intensivmedizin ausgebildet. Normen für die Besetzung der Stellen, zum Beispiel die nötige Qualifikation, findet die Krankenhausgesellschaft dennoch zu kompliziert. Georg Baum, DKG-Hauptgeschäftsführer fordert stattdessen »Realitätsbezug« und »Augenmaß«. Fachkräftequoten sollten mittelfristig überprüft und angepasst werden. Das betrifft zum einen fachmedizinische Maßgaben etwa für die Versorgung von Bauchaortenaneurysmen oder die Kinderherzchirurgie, für die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) existieren. Der GBA entscheidet über die Erstattung von Leistungen für gesetzlich Versicherte. Zum anderen werden von der DKG auch die angestrebten Mindestpersonalmengen abgewehrt, für die etwa ver.di streitet.

Probleme gibt es aus Sicht der Krankenhausgesellschaft damit, die Pflegekräfte angemessen zu bezahlen - wofür die Verantwortung bei den Gesetzlichen Krankenkassen liege, da diese Tariferhöhungen nicht gegenfinanzierten. Eine weitere Finanzierungslücke entstehe durch die ausbleibenden Krankenhausinvestitionen, bei denen keines der Bundesländer bis jetzt sein Soll erfülle.

Dass seit 2007 mehr als dreimal so viele Ärzte wie Pflegekräfte eingestellt wurden, habe vor allem mit EU-weiten Neuregelungen zur Bezahlung von Bereitschaftsdiensten bei den Medizinern zu tun. Die Krankenhäuser selbst, so DKG-Präsident Thomas Reumann, hätten ein »ureigenstes Interesse an guten Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter«.

Aber auch für die Nachwuchsmisere gibt es noch keine Lösung: Denn es gehen bereits zehn Prozent der Schulabgänger, die nicht studieren, in eine Pflegeausbildung - entweder in einem Krankenhaus oder in Altenheimen. Die 950 Ausbildungsstätten der Krankenhäuser hätten dennoch Probleme, genügend Bewerber zu finden, da für eine Sicherung der Pflegequalität noch mehr gebraucht würden. Und da die Mehrzahl der Pflegekräfte Frauen seien, komme es aus familiären Gründen zu unterbrochener Berufstätigkeit - etwa gerade dann, wenn eine Weiterbildung zur Intensivpflegefachkraft möglich sei.

Weitere Probleme ergeben sich auch aus der anstehenden Umstrukturierung der Pflegeausbildung - noch weiß die DKG nicht, was das für den Nachwuchs bedeutet. Zur Entlastung der Pflegekräfte müsse Bürokratie abgebaut sowie die Digitalisierung vorangetrieben werden - angesichts fehlender Investitionsmittel forderte Reumann hier ein von der Regierung finanziertes Sonderprogramm »Digitales Krankenhaus«.