nd-aktuell.de / 27.07.2017 / Politik / Seite 5

Kein Asyl für kurdischen Kämpfer

Ehemaligem YPG-Soldaten droht die Abschiebung in die Türkei

Sebastian Bähr und Nelli Tügel

»Man kann niemandem zu Investitionen in ein Land raten, wenn es dort keine Rechtssicherheit mehr gibt und sogar völlig unbescholtene Unternehmen in die Nähe von Terroristen gerückt werden.« Diese Worte sprach der Bundesminister des Auswärtigen, Sigmar Gabriel (SPD), als in der vergangenen Woche die deutsche Türkeipolitik »neu ausgerichtet« wurde.

Trotz der fehlenden Rechtssicherheit, die Gabriel öffentlich anprangerte, sollen nach dem Willen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auch Oppositionelle weiterhin in die Türkei abgeschoben werden. Dem »nd« liegen Unterlagen vor, die belegen, dass der Asylantrag von mindestens einem bekannten türkischen Oppositionellen - es handelt sich um einen Politiker der linken prokurdischen HDP aus dem Grenzgebiet zu Syrien - abgelehnt wurde. Dem Mann droht die Abschiebung in die Türkei.

Ende Juni wurde zudem der Asylantrag des türkischen Staatsbürgers Cano Boran* abgelehnt, der 2014 in Nordsyrien für die Kurdenmiliz YPG gegen den »Islamischen Staat« (IS) gekämpft hat. Auch das geht aus Dokumenten hervor, die dem »nd« vorliegen. Bekannt gemacht wurde der Fall von dem Menschrechtler Tobias Huch, der darüber am Dienstag auf seiner Facebookseite berichtet hatte. Das BAMF wollte sich trotz mehrmaliger Nachfrage des »nd« in der Sache nicht äußern.

Cano Boran war im Herbst 2015 aus der Türkei nach Deutschland geflohen und stellte hier einen Asylantrag. Er befürchtet, in der Türkei eine mehrjährige Gefängnisstrafe wegen seines Einsatzes für die YPG beim Kampf um die nordsyrische Stadt Kobane absitzen zu müssen. Aus Sicht der Türkei sind die nordsyrische Partei PYD sowie die zu ihr gehörenden Milizen YPG und YPJ Ableger der PKK. Ihre Anhänger werden als Terroristen verfolgt und bekämpft.

Boran sagte gegenüber »nd«, er habe mithilfe zahlreicher Fotos gegenüber dem BAMF seinen YPG-Einsatz belegen können und ihm sei geglaubt worden. Doch spielte das für die Entscheidung der Behörde offenbar keine Rolle. Das BAMF schreibt in dem Ablehnungsbescheid an Boran, dass »bei Wahrunterstellung des Vortrages des Antragstellers bzgl. eines Kampfeinsatzes bei der YPG zur Befreiung der Stadt Kobane dies nicht zu einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen würde«.

Das BAMF sieht keine »Gefahr für Leib und Leben«. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Türkei führten »nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung Folter, unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung droht«. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention komme, so das BAMF, »nicht in Betracht«.

Begründet wird dies unter anderem damit, dass Boran vor seiner Ausreise aus der Türkei im Herbst 2015 sich dort noch einen Pass besorgen und die Türkei legal verlassen konnte. Dies belegt aus Sicht des BAMF, dass er nicht von politischer Verfolgung betroffen gewesen sei. Auch heißt es, dem Antragsteller sei es zwischen seiner Rückkehr aus Syrien und seiner Ausreise aus der Türkei 2015 möglich gewesen, in der Türkei wirtschaftlich tätig zu sein, obwohl viele Menschen in seinem Umfeld von seinem YPG-Einsatz gewusst hätten.

Boran gibt als konkreten Fluchtgrund an, er sei ab dem Sommer 2015 mehrmals von türkischen Nationalisten bedroht worden, später habe sein Laden gebrannt. Diese Darstellung hält das BAMF nicht für glaubhaft.

Bemerkenswert an der Begründung der Behörde ist vor allem, dass die Entwicklungen seit dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 offenbar in die Entscheidung über den Asylantrag überhaupt nicht einbezogen wurden.

Dass seit Sommer 2016 in der Türkei Zehntausende wegen des Verdachts auf Unterstützung einer Terrororganisation verhaftet wurden - darunter Aktivisten von Amnesty International und eine Reihe von Journalisten - scheint für des BAMF keine Rolle zu spielen. So liest sich zumindest die Argumentation, Boran sei 2015 nicht verfolgt gewesen, da er die Türkei legal verlassen konnte, also liege auch heute keine Gefährdung vor.

Brisant ist zudem, dass das BAMF bei der Beurteilung der YPG der Türkei näher ist als etwa den USA. So heißt es in dem Bescheid an Boran, dass »repressive oder präventive Maßnahmen«, die der Staat zur Abwehr des Terrorismus ergreife, nicht flüchtlingsschutzrelevant seien, wenn sie »demjenigen gelten, der Unterstützungsmaßnahmen vornimmt oder sich terroristisch betätigt«.

Für die von den USA angeführte Anti-IS-Koallition, der auch die Bundesrepublik angehört, ist die YPG einer der wichtigsten Verbündeten. Als stärkster Teil der kurdisch-arabischen Militärallianz SDF trägt sie seit Jahren die Hauptlast im Kampf gegen die Dschihadisten in Syrien. Die USA unterstützen die YPG mit Waffen und unterscheiden - anders als die Türkei - zwischen PYD und PKK.

Die Bundesrepublik ist hingegen seit dem Ausbruch des Syrienkonflikts auf Distanz zur YPG gegangen. Sie unterstützt nur die irakisch-kurdischen Peschmerga, die ebenfalls den IS bekämpfen. Zwischen syrischen und irakischen Kurden gibt es stellenweise Kooperation, aber auch Auseinandersetzungen. So unterliegt Syrisch-Kurdistan einem Embargo seitens der irakischen Autonomen Region Kurdistan.

Die Bundesregierung verschärfte im März dieses Jahres das Vorgehen gegen PYD und YPG in Deutschland. So verbot das Innenministerium das öffentliche Zeigen von YPG-Symbolen. Die betroffenen Symbole würden - so eine Erklärung der Behörde - von der »PKK ersatzweise für ihre Zwecke verwendet«. Diese ist - anders als die PYD - in Europa illegal. Die Gesetzesverschärfung war von verschiedenen Seiten als Zugeständnis an die Türkei kritisiert worden.

Die nun bekannt gewordenen Fälle abgelehnter Asylanträge erwecken den Eindruck, das BAMF berücksichtige die von der Bundesregierung öffentlich kritisierte Verfolgung Oppositioneller in der Türkei nicht bei seinen Entscheidungen. Die Begründung des BAMF im Fall Boran steht im Gegensatz zu den Worten Sigmar Gabriels von vergangener Woche.

Dem »nd« antwortete Boran auf die Frage, was er im Fall einer Abschiebung erwarte: »Sie als Journalisten sehen, was mit Ihren Kollegen in der Türkei gemacht wird. Da können Sie sich ja vorstellen, was mit einem ehemaligen YPG-Kämpfer passiert.«

*Name geändert