nd-aktuell.de / 27.07.2017 / Kommentare / Seite 4

Revolution der EU-Rüstung

Sabine Lösing über Neuerungen im Militärbereich auf europäischer Ebene unter deutsch-französischer Führung

Sabine Lösing

Unlängst kündigte der »Deutsch-französische Ministerrat« in einer Erklärung zahlreiche gemeinsame Rüstungsprojekte an, über die militärnahe Kommentatoren wie Claudia Major (SWP) und Christian Mölling (DGAP) regelrecht aus dem Häuschen gerieten. Ihrer Auffassung nach handelt es sich hierbei - leider wohl zu Recht - um eine »Revolution«, um einen »Paukenschlag«, die Vorhaben seien - kurz gesagt - nicht weniger als ein »politischer, industrieller und strategischer Quantensprung«.

Denn von gemeinsamen Rüstungsprojekten verspricht man sich in der EU wahre Wunder. Bereits Ende 2016 veröffentlichte die Kommission den »Verteidigungs-Aktionsplan«, der angab, das diesbezügliche Einsparpotenzial würde sich »auf bis zu 130 Milliarden Euro, gemäß konservativen Berechnungen auf mindestens 26 Milliarden Euro belaufen«. Lange behinderte allerdings Großbritannien EU-Rüstungsprojekte aus Sorge um seine militärpolitische Beinfreiheit - das britische Austrittsreferendum im Juni 2016 hat nun allerdings die Chance eröffnet, substanzielle »Fortschritte« zu erzielen.

In diesem Zusammenhang sind die nun angekündigten deutsch-französischen Rüstungsvorhaben zu sehen. Ganz konkret handelt es sich dabei um die gemeinsame Entwicklung u.a. folgender militärischer Fähigkeiten: Bei den Landsystemen um eine neue Kampfpanzer-Generation (als Nachfolger von Leopard und Leclerc) und neue Artilleriesysteme, maritim sollen neue Seeaufklärungssysteme gebaut werden und in der Luft die Entwicklung einer neuen Generation des Tiger-Hubschraubers, der - bereits länger beschlossenen - Eurodrohne und eines neuen Kampfflugzeugs (als Ersatz für Eurofighter und Rafale) vorangebracht werden.

Tatsächlich sind die avisierten Vorhaben für sich genommen schon spektakulär - ihre volle Tragweite wird jedoch erst ersichtlich, betrachtet man den aktuell im Aufbau befindlichen EU-Rahmen, in den sie eingebettet werden sollen. Denn schon früher arbeiteten europäische Länder bei Rüstungsprojekten zusammen, man denke etwa an den Airbus A400M. Bislang geschah dies aber nie offiziell unter dem Dach der Europäischen Union - und genau dies soll sich nun ändern.

Bis 2018 wollen Berlin und Paris alle Details geklärt haben, erst dann »dürfen« sich auch andere Länder beteiligen. Die so auf die Schiene gesetzten Rüstungsprojekte sollen dann nach Vorstellungen des Ministerrates im Rahmen einer »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« (PESCO) als offizielle EU-Projekte durchgeführt werden. Eine PESCO kann per Mehrheitsentscheid begründet und so das EU-Konsensprinzip im Militärbereich ausgehebelt werden. Gleichzeitig soll der Mechanismus die Möglichkeit eröffnen, die Teilnehmerzahl durch die Aufstellung »ambitionierter« Kriterien zu begrenzen, wie aus der deutsch-französischen Erklärung recht deutlich herauszulesen ist: »Um die Debatte über diese Verpflichtungen unter allen interessierten EU-Mitgliedern zu beleben, haben sich Frankreich und Deutschland auf eine Reihe von bindenden Verpflichtungen und Elementen für eine inklusive und ambitionierte PESCO geeinigt.«

Parallel dazu betont der Ministerrat seine Entschlossenheit, den »Europäischen Verteidigungsfonds [EDF] zum Erfolg zu führen«. Mit dem EDF soll ab 2019 erstmals ein EU-Rüstungsetat mit einem Gesamtumfang von über 40 Milliarden Euro bis 2027 eingerichtet werden! Besonderen Charme - zumindest aus deutsch-französischer Sicht - entwickelt dies, da PESCO-Rüstungsprojekte in dem seit Juni 2017 vorliegenden EDF-Kommissionsvorschlag bevorzugt behandelt und finanziert werden sollen. Der EDF soll noch 2018 verabschiedet und PESCO schon in etwa zwei Monaten aktiviert werden.

Deutschland und Frankreich wollen also künftig alle wesentlichen Details zentraler Rüstungsprojekte zunächst im Alleingang definieren, diese dann über den PESCO-Mechanismus für einige wenige EU-Länder öffnen und in den EU-Rahmen überführen, gleichzeitig den Großteil aber ausschließen. Und bezahlt werden soll das dann in guten Teilen über einen Fonds, in den wiederum alle Staaten einzahlen müssten.

Das EUropa der Rüstung formiert sich unter nahezu exklusiv deutsch-französischer Führung - es steht zu hoffen, dass die anderen EU-Länder bei den anstehenden Entscheidungen dem nicht auf den Leim gehen werden. Doch dies dürfte angesichts der aktuellen politischen Großwetterlage wohl ein frommer Wunsch bleiben.