Einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge vertritt ein Drittel aller Menschen in Deutschland »populistische Positionen«. Definiert haben die Autoren der Studie solche Positionen zum Beispiel als gegen Eliten und Establishment gerichtete Haltungen.
In den vergangenen Jahren hat sich - durch das Aufkommen von Pegida und den Aufstieg der AfD - die Verortung des Begriffes Populismus deutlich in den politischen Raum rechts der Mitte verschoben. Ob sich auch die Haltungen der Menschen nach rechts verschoben haben, ist eine andere Frage. Der erste Eindruck sagt ja. Doch es gibt gute Gründe anzunehmen, dass vieles von dem, was durch Pegida und AfD artikuliert wird, schon vorher da war. Die Tatsache beispielsweise, dass die AfD als einzige Partei seit der Wende in Ostdeutschland massiv Nichtwähler zu mobilisieren in der Lage war, könnte dafür ein Indiz sein.
Wie dem auch sei - Populismus ist im öffentlichen Diskurs derzeit überwiegend rechts konnotiert. Was den Rechten paradoxerweise in die Hände spielt, denn so wird eines ihrer wichtigsten Narrative bestärkt. Gemeint ist jenes, das besagt, die politische und gesellschaftliche Linke sei längst selbst Teil des Establishments, während - so Pegida und AfD - »das Volk« und sein »Wille« rechts stünden. Entsprechend hatte die AfD-Vorsitzende Frauke Petry im Herbst 2016 in einem Interview mit der »Zeit« erklärt, Populismus sei für sie gar kein Schimpfwort. Für die AfD ist der Begriff eher eine Feder, mit der man sich gerne schmückt.
Dass Populismus auch links sein kann und ein solcher sogar Aufgabe der politischen Linken sei, ist die Hauptthese des Essays »Ein unanständiges Angebot? Mit linkem Populismus gegen Eliten und Rechte« von Thomas E. Goes und Violetta Bock.
Der Linkspopulismus, der den Autoren vorschwebt, unterscheidet sich von dem, was - selten genug - als Populismus von linken Politikern wahrgenommen wird. Denn wenn dies in den vergangenen Jahren der Fall war, dann nur, wenn sich eine Sahra Wagenknecht über »Gastrecht« äußerte oder ein Martin Schulz versuchte, aus dem Thema Flucht doch noch Kapital für seinen Wahlkampf zu schlagen. Populismus von links bedeutete in diesen Fällen, dass sich Politiker linker(er) Parteien öffentlich rechten populären Positionen annäherten.
Diese Strategie kritisieren Goes und Bock mit deutlichen Worten. Ohnehin sind sich die Autoren der Problematik, dass Elitenkritik und Ansprache der »Volksklassen« immer auch nach rechts offen sind, durchaus bewusst. Man kann ihnen nicht vorwerfen, sie würden diesem Thema aus dem Weg gehen. Ein ganzes Kapitel ihres siebenteiligen Textes widmet sich dem Volksbegriff der Rechten und dem »autoritär-rassistischen Reservoir« von Populismus.
Aber: Die Autoren sagen, wo »Brücken nach rechts« lauern, gebe es eben auch »sozialpopulistische Potenziale« für die Linke. Während Rechtspopulismus sich zwar auch gegen das Establishment richte, vor allem aber »vermeintlich Fremde und Schwache« treffe, also eine »Rebellion auf den Knien« vor den Herrschenden sei, gelänge linkem Populismus das Gegenteil. »Er mobilisiert Missachtungserfahrungen, Ansprüche auf Anerkennung, soziale Absicherung und gute Löhne nicht gegen (vermeintlich) Fremde und Schwache, sondern arbeitet an einer neuen Allianz des sozialen Schutzes und der Emanzipation gegen die Eliten.« Linkspopulismus sei eine »Revolte des aufrechten Gangs«.
Hier wird der Essay zu einer Kampfschrift, denn Goes und Bock belassen es nicht dabei zu analysieren. Sie formulieren darüber hinaus Aufgaben, die sich aus ihrer Sicht der politischen Linken stellen.
Eine solche Aufgabe sei es, »eine möglichst breite populare Bewegung und ein mobilisierungsfähiges Unten-Mitte-Bündnis aus den Klassen und Schichten zu erschaffen«, die die »Volksklassen« bildeten. Zu diesen »Volksklassen« gehören nach Auffassung der Autoren »die ArbeiterInnenklasse (die an Mehrwertschöpfung mittel- und unmittelbar beteiligten Industrie- und Dienstleistungsbeschäftigten), andere lohnabhängige Schichten des Privatsektors (wie PflegerInnen, SozialarbeiterInnen und ErzieherInnen) sowie des Staates und des Öffentlichen Dienstes, neue Selbstständigengruppen, klassische Kleinstgewerbetreibende und Erwerbslose«.
Sie bildeten die übergroße Mehrheit im Land, egal wo sie geboren worden seien und welchen Pass sie trügen. Wer arbeitet, ausgebeutet wird, sich wehrt und auf ein besseres Leben hofft, gehöre zu den »postnationalen Volksklassen«.
Dieser Versuch, die »Volksklassen« in linkes Vokabular (zurück) zu überführen, ist wohl das Gewöhnungsbedürftigste an dem Text. In einem Land, in dem mit dem »Volkswillen an sich« die Shoah begründet wurde, kann kein Begriff mit dem Präfix »Volk« von links rehabilitiert werden. Daran ändert auch die ausführliche - und sperrige - Definition der Autoren nichts, eben so wenig wie der Zusatz »postnational«.
Zumal: Stattdessen beispielsweise für einen breiten Begriff von Arbeiterklasse zu plädieren, hätte der Argumentation des Essays eigentlich nicht geschadet. Selbst der Begriff Populismus wäre gar nicht zwingend nötig gewesen, um die Strategie zu erläutern, für die Goes und Bock streiten wollen - nämlich Menschen dort abzuholen, wo sie stehen, ihre Selbstorganisation mit konkreten Kampagnen zu stärken und emanzipatorische Brücken zu bauen. Man kann das - wie die Autoren - Linkspopulismus nennen, der »von unten ermächtigt, internationalistisch und feministisch« ist. Muss man aber nicht.
Thomas E. Goes/Violetta Bock: Ein unanständiges Angebot? Mit linkem Populismus gegen Eliten und Rechte. Papyrossa, 133 S., br., 12,90 €.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1058761.die-volksklassen-mobilisieren.html