nd-aktuell.de / 31.07.2017 / Politik / Seite 13

Geheimniskrämerei ist heilbar

Seit Februar läuft das Bundesprojekt Modellkommune Open Government - Brandis ist dabei

Harald Lachmann, Brandis

Auch in deutschen Rathäusern kursiert zunehmend englisches Vokabular. Spricht man etwa von Open Government, meint dies die Öffnung der Verwaltungstuben, um so die Zivilgesellschaft zu mehr Teilhabe zu bewegen. Doch die gläserne Ämterstruktur will auch gelernt sein. In der Realität erlebt man »vielerorts noch die alte Amtsverschwiegenheit«, wie man etwa bei der Berliner Open Knowledge Foundation rügt. Dabei benötige eine funktionierende demokratische Gesellschaft zunächst einmal »Transparenz, demokratische Kontrolle und freien Zugang zu staatlichen Daten und Informationen sowie die Möglichkeit, diese mit anderen Bürgern zu teilen«, heißt es bei dem Verein, der gegenwärtig entsprechende EU-Förderprojekte betreut.

Doch in punkto Informationsfreiheit zeigt sich Deutschland noch als Flickenteppich. Bereits 1998 verabschiedete Brandenburg als erstes Bundesland ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG), auf dessen Basis jedermann ohne Angabe von Gründen staatliche Dokumente nachfragen darf. 1999 folgte Berlin, im Jahr 2000 dann Schleswig-Holstein. Auch der Bund hat seit 2006 ein solches Gesetz, nicht aber Bayern, Hessen, Niedersachsen und Sachsen. Dort wird ein derartiges Projekt zumeist von der Union blockiert. So gaben sich die sächsischen Metropolen Dresden und Leipzig inzwischen eine eigene Satzung zur Informationsfreiheit.

Im Grunde gibt es in dieser Frage in Deutschland eine Drei-Klassen-Gesellschaft: Länder ohne Informationsfreiheitsgesetz, Länder mit IFG sowie Länder wie Hamburg und Rheinland-Pfalz, wo bereits ein noch weiter reichendes Transparenzgesetz gilt. Auf dessen Basis müssen die Behörden dort ihre Dokumente sogar von sich aus ins Netz stellen.

Vor diesem Hintergrund startete der Bund im Februar gemeinsam mit Städtetag, Landkreistag und Städte- und Gemeindebund das Pilotprojekt Modellkommune Open Government. Alle 2060 Städte und 294 Landkreise waren aufgefordert, sich dafür zu bewerben - doch ganze 26 hatten den Schneid dazu. Offenkundig sähen »die Verwaltungen Open Government bislang kaum als tagesaktuelle Aufgaben« an, hieß es seitens der Jury, die dennoch neun Modellaspiranten auswählte. Neben vier Kommunen in Nordrhein-Westfalen - Köln, Bonn, Moers, Merzenich - sind auch Niedersachsen mit Oldenburg, Baden-Württemberg mit Tengen und Sachsen mit Brandis vertreten. Hinzu kommen der hessische Landkreis Marburg-Biedenkopf und der Saalekreis in Sachsen-Anhalt. Alle Teilnehmer werden für zwei Jahre mit je 50 000 Euro beim Erarbeiten und Umsetzen von mehr Behördentransparenz unterstützt.

Brandis, eine frühere Ackerbürger- und spätere Schlafstadt für Leipzigpendler, gehört hierbei für Außenstehende zu den Überraschungen. Doch nachdem der politische Seiteneinsteiger Arno Jesse (SPD) 2013 auf Anhieb mit gut 64 Prozent ins Bürgermeisteramt gewählt wurde, hatten Insider die 10 000-Einwohner-Kommune schnell auf dem Schirm. So wurde Brandis bereits 2014 »Sächsische Innovationskommune«. Denn die Stadt ersann eine Reihe kreativer Projekte, um vor allem über digitale Kanäle Bürgerteilhabe zu stimulieren. So kann seit Einführung eines neuen Ratsinformationssystems jeder Einwohner per Mausklick den Terminkalender der Stadtgremien einsehen, auf alle öffentlichen Sitzungsunterlagen zugreifen und über Protokolle auch deren Ergebnisse studieren. Daneben testete Brandis eine Bürgerbeteiligung per Online-Voting, etwa zur Einzelhandelsstruktur. Auch öffentliches WLAN an zentralen Punkten ist längst Realität.

Die Stärkung jener »Mit-Mach-Stadt«, wie Jesse sie anstrebt, ist nun auch erstes Anliegen beim Open-Government-Pilotprojekt. Der Rathauschef und sein Team wollen weiter die Brandiser Innenstadt aufwerten, hierzu die Zugangs- und Teilnahmemöglichkeiten der Bewohner »zielgruppengerecht« ausdehnen und zudem den begonnenen »Kulturwandel innerhalb der Verwaltung« verstetigen. Als Werkzeuge hierfür nennt Jesse eine Bürger-App als mobile und punktgenaue Informationsplattform, ein Café Communale, in dem man mit ihm an jedem zweiten Donnerstag im Monat unangemeldet und ganz zwanglos plaudern kann, und einen Briefkasten. In diesen werfen die Einwohner Postkarten mit Frust oder Freud, die dann umgehend digitalisiert und auf das städtische Beteiligungsportal übertragen werden. Diese Innovation speziell für nicht so online-affine Zeitgenossen stellte Brandis sogar auf der Computermesse Cebit aus.

Von dem Open-Government-Modellvorhaben verspricht sich Jesse zugleich Erkenntnisse, »wann, wie und wo diese Werkzeuge eingesetzt werden sollten und ob sie für alle Personenkreise tauglich sind«. Hierbei denkt er vor allem an jene, die noch ohne Smartphone und Tablet auskommen und doch »im digitalen Zeitalter mitgenommen werden möchten und müssen«.