nd-aktuell.de / 02.08.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 3

Der Heizer auf der E-Lok

Die IG Metall setzt auf Diesel und Elektroautos - eine grundlegende Verkehrswende ist so nicht zu erreichen

Ines Wallrodt

Beim Dieselgipfel sitzt die IG Metall mit am Tisch, in der seit Monaten laufenden Debatte um Konsequenzen aus dem Dieselskandal wurde ihre Stimme oft vermisst. Die Gewerkschaft, die die Beschäftigten in der Autobranche organisiert, hat sich bislang eher zurückgehalten. Umso aufmerksamer wurde am Montag eine Erklärung gelesen, die sie gemeinsam mit den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der deutschen Autoindustrie veröffentlichte. Doch nach einem großen Einstieg, es sei an der Zeit, »die Weichen für eine zukunftsfähige Transformation zu stellen«, zielen die konkreten Vorschläge dann doch eher auf die kleine Lösung. Vor allem wollen die Arbeitnehmervertreter das drohende Fahrverbot für Dieselautos in deutschen Innenstädten abwenden. Sie erwarten konkrete Beschlüsse, wie die Stickoxidbelastung in Ballungszen-tren ohne diese Maßnahme »deutlich und kurzfristig« gesenkt werden kann. »Kalte Enteignung« hatte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann die Fahrverbote vor einigen Tagen genannt und gegen »vermeintliche Ökogruppen« gewettert, von denen »abstruse Dinge zu hören« seien.

Er dürfte dabei die Deutsche Umwelthilfe im Kopf gehabt haben, die die Fahrverbote vor Gericht durchzukämpfen versucht. Ihr Bundesgeschäftsführer wettert zurück: »Die Gewerkschaften haben das nicht verstanden«, sagt Jürgen Resch. »Mit den Fahrverboten kämpfen wir für den Anspruch der Kunden auf eine wirksame Nachrüstung, damit sie das saubere Auto bekommen, das sie beim Kauf versprochen bekamen.« Aus seiner Sicht lässt sich die IG Metall von Konzernvorständen »instrumentalisieren«, denen es lediglich um die Sicherung von Profiten gehe. Andernfalls müsste sie sich dafür einsetzen, dass ab sofort und nicht erst 2023 nur noch saubere Diesel verkauft werden.

Gänzlich unverständlich findet Resch, dass die IG Metall auch noch in den Ruf nach staatlicher Förderung für den Kauf schadstoffarmer Neuwagen einstimmt: Eine Branche, die im vergangenen Jahr 36 Milliarden Euro Gewinn gemacht habe, brauche keine Steuergelder. Aus seiner Sicht haben nicht nur Vorstände und Politik den Karren vor die Wand gefahren. Auch die Gewerkschaft habe in den Aufsichtsräten versagt.

Die Gewerkschaft hält den Diesel »als Brückentechnologie« für unverzichtbar. Eine Brücke wohin, fragt sich nicht nur Resch. »Die IG Metall wird den Herausforderungen einer sozial-ökologischen Verkehrswende nicht gerecht«, sagt Sabine Leidig, Verkehrsexpertin der LINKEN. Man müsse ganz weg vom motorisierten Individualverkehr. »Diese Debatte hat die Gewerkschaft nicht voran gebracht, dabei organisiert sie doch nicht nur die Autobauer, sondern auch die Hersteller von Schienenfahrzeugen und Bahntechnik.«

Resch fühlt sich an den Heizer auf der E-Lok erinnert. Den hatte die Eisenbahnergewerkschaft in Großbritannien einst durchgesetzt, um Jobs zu erhalten. »Die IG Metall wiederholt den Fehler, wenn sie am schmutzigen Diesel festhält und nicht die Arbeitgeberseite gleichzeitig zwingt, den neun Millionen betrogenen Käufern von Euro-5- und -6-Diesel- Pkw im Rahmen eines technischen Rückrufs funktionstüchtige Abgasreinigungssysteme einzubauen.«

Der baden-württembergische IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger weist den Vorwurf zurück. »Es geht nicht um den Heizer auf der E-Lok«, versichert er. Der IG Metall ist bewusst, dass nicht alle vorhandenen Arbeitsplätze erhalten werden können. In der Summe soll die Beschäftigung jedoch soweit wie möglich stabil bleiben. Deshalb kämpft die Gewerkschaft dafür, dass die Herstellung von Komponenten für den Elektroantrieb in Deutschland stattfindet. Durch Qualifizierung und Weiterbildung will sie dafür sorgen, »dass der Einzelne auch in Zukunft noch einen Arbeitsplatz hat«, sagt Zitzelsberger.

Manche hätten sich von der Gewerkschaft etwas Selbstkritik gewünscht. Auf Nachfrage räumt Zitzelsberger ein, die Transformationsdebatte vernachlässigt zu haben. Dabei habe man Anfang der 90er Jahre schon alle Problemlagen erkannt. Damals sei intensiv darüber diskutiert worden, wie Umwelt, stabile Unternehmen und sichere Beschäftigung zusammenzudenken seien. Eine Broschüre wurde herausgegeben. »Vieles könnte man heute eins zu eins als Zitat benutzen«, sagt Zitzelsberger. Damals arbeitete man noch eng mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz zusammen. »Wir haben in den letzten 25 Jahren zu wenig darauf gedrängt, diese Ansätze in die Unternehmen und die Politik zu tragen«, sagt der Gewerkschafter. Zur Erklärung verweist er auf Krisen, die seit 1992/93 alle fünf bis sechs Jahre zu bewältigen waren.

Außerhalb seiner Organisation werden andere Gründe gesehen: Die enge Verflechtung zwischen Gewerkschaft und Autobauern, Betriebsräte, die sich als Co-Manager verstehen, sowie die Orientierung an Standortsicherung werden da genannt. »Die IG Metall hat sich auf dem Autoboom ausgeruht, jetzt gibt es das böse Erwachen«, kritisiert Linksparteipolitikerin Leidig.

Das Urteil will Zitzelsberger nicht so stehen lassen. »Unterhalb der öffentlichen Wahrnehmung laufen seit vier, fünf Jahren Debatten über die Transformation der Automobilindustrie«, sagt er. Und auch über das große Ganze - die Verkehrswende - will die IG Metall reden. Aber nicht beim Gipfel, »das würde das Treffen überfordern«. Allerdings »so schnell wie möglich«. Zu reden wäre dann über digitalisierte Verkehrssteuerung, über öffentlichen Nahverkehr und ein integriertes System, in dem die verschiedenen Verkehrsmittel aufeinander abgestimmt werden. Zitzelsberger hat sich jedenfalls die Broschüre aus den 90ern besorgt - im Antiquariat. Ihr Titel: »Auto, Umwelt und Verkehr. Umsteuern bevor es zu spät ist!«