nd-aktuell.de / 04.08.2017 / Kultur / Seite 14

Gold statt Bernstein

Andreas Gläser

Mein Urlaub in der südlichen Tanzmetropole liegt erst zwei Monate zurück, aber da für den Nachwuchs sechs Wochen Ferien angesagt sind, müssen wir schon wieder unsere spannende Stubenhockerstadt verlassen.

Wer viel arbeitet, soll sich viel erholen, ein bisschen die Welt erobern. Das hat fast schon was von der heimlichen Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens. Ein riesiger Schritt für die Menschheit wäre vorerst auf jeden Fall die Durchsetzung einer viertägigen Arbeitswoche mit dem entsprechend verlängerten Wochenende; gerne auch eine Dreitagewoche für über 50-Jährige.

Die Umschichtung der Arbeit müsste doch umzusetzen sein: dem Schläfer einige Schichten aufdrücken, dem Workaholic einige wegrationalisieren. Ich behaupte nicht, jeder Job könne von Computern, Robotern und Heinzelmännchen erledigt werden. Stichworte: Altenpflege, Reinigungsbranche, Gastronomie. Oder wie mein Kumpel Christian sagt: Wenn du den Leuten ein bedingungsloses Grundeinkommen gibst, werden die meisten von denen nur fernsehglotzen und saufen, nichts anderes.

Das sagt er als jemand aus einer westfälischen Kommunistenfamilie, als rockiger Performancekünstler und Nachtwache in einer Unterkunft für Obdachlose. Christian hätte es drauf, einigen seiner Klienten nach dem Rotationsverfahren jeweils zwei Schichten pro Woche aufzuschwatzen, um selber zu Hause zu bleiben. Mir fallen auch einige Kandidaten für ein paar meiner Brotjobschichten ein. Aber die Gesellschaft will, dass man durchzieht und ab und zu zwei Wochen Urlaub nimmt.

Jedenfalls werden wir an der Ostsee sein, mit Vollpension, weil sie dort nichts Halbes rausrücken. Immerhin geht es nicht in den Süden, wo einem nur der Arsch brennt. Die Ostsee hält alles, was sie verspricht, von der Sonnenwonne bis zum Regensegen. Ich soll dort Bernsteine sammeln, hat man mir empfohlen, aber ich werde nach Vinyl suchen. Nicht am Strand, sondern am Rand; ich sage mal, der Stadt. Hoffentlich gibt es dort ein Neubauviertel mit einem An- und Verkaufs-Paradies.

Die meisten Leute lassen das schwarze Gold liegen, die wollen Bernsteine, weil die leichter nach Berlin zu schmuggeln sind. Sehr schön. Wir werden eine Woche weg sein, vor allem von den Computern, und ein Monatsgehalt verballern, das ist Urlaub. Gebadet wird täglich dreimal im Meer und einmal im Moor. Jeden Abend kommt der Hilde-Knef-Chor, wir singen gemeinsam Ostseelieder. Doch nach drei Tagen außerhalb Berlins werde ich etwas irre und muss mich mittels autonomer Schreibtherapie rückreisefähig halten. Arbeit und Freizeit sollen ein Gleichgewicht bilden. Ein bisschen basteln, ein wenig schlummern. Was für Kinder gut ist, ist für Erwachsene nicht schlecht.

Und nach der Ostseewoche folgen die freien Tage in Berlin. Hurra!