nd-aktuell.de / 05.08.2017 / Kommentare / Seite 22

Täterversteher

Paula Irmschler über die Debatte nach der Vergewaltigung einer 14-Jährigen in Birmingham

Paula Irmschler

Im englischen Birmingham wurde vergangene Woche ein 14-jähriges Mädchen an einem Bahnhof vergewaltigt. Als sie später ein Auto anhielt, um um Hilfe zu bitten, vergewaltigte sie der Fahrer des Wagens auch. Eine Geschichte, die einen nur mit Abscheu, Schock, Ekel und alarmiert zurücklassen kann. Oder? Nein. Männliche Abwehr gegenüber einer solchen Realität ist zu ganz Anderem, Unfassbarem imstande. In diesem Fall zum Beispiel: Witze, Rechtfertigung, Gutheißung, Erregung und Leugnung.

Sicher, man sollte Kommentaren im Internet nicht immer zu viel Bedeutung beimessen. Es gibt Trolle, es gibt Abstumpfung, es gibt regelrechte Wettläufe um den provokantesten Zwischenruf unter Männern. Doch muss man sich auch vergegenwärtigen, dass Frauen in dem Wissen leben, dass sie sich nicht nur vor Tätern, sondern auch vor ihren Unterstützern, potenziell also auch Täter, schützen müssen.

Weil Täterversteher glauben, dass sie durch die Thematisierung von männlicher Gewalt selbst die Bedrohten sind und das für sie vor dem Wohl von Betroffenen steht, muss scharf auf diese geschossen werden: Das Mädchen habe es verdient, das Geschehene sei doch geil, das hat sie sich nur ausgedacht, es waren bestimmt eh Muslime, darüber muss man doch nicht international informieren, mit solchen Nachrichten soll nur Hass auf Männer geschürt werden, heißt es da.

Doch die Realität, in der wir leben, ist eine, in der ein Mädchen zweimal in einer Nacht vergewaltigt wird - und die Sensation daran ist vor allem die zweite Vergewaltigung. Eine Vergewaltigung an sich, als etwas, das Mädchen und Frauen ständig zustoßen kann, ist traurige Normalität. Die Realität, in der wir leben, ist eine, in der gefragt wird: »Was macht ein Mädchen abends draußen?« statt »Was macht ein Mann abends mit einem Mädchen, das nichts Sexuelles mit ihm im Sinne hat oder Hilfe sucht?«; eine Realität, in der die Tatsache, dass Frauen sich draußen und zu Hause vor Männern schützen müssen, nicht zu einem »Was kann man dagegen tun?« führt, sondern dazu, dass man sich persönlich angegriffen fühlt und schreit »Schert uns nicht über einen Kamm!« Eine Realität, in der die Rettung des männlichen Egos Priorität hat vor der Sicherung der Unversehrtheit von Frauen.

Diese Realität ist eine, in der Männer dazu in der Lage sind, gleichzeitig eine Vergewaltigung als ein rein muslimisches Problem abzutun, sie zu verstehen, sie zu verteidigen und dennoch ihre Existenz abzustreiten. Das hat System und heißt Rape Culture. Entweder ist, was Frauen angetan wird, nicht so schlimm, und wenn es doch schlimm ist, dann sind bestimmte Männergruppen verantwortlich oder Einzelne. Wenn aber nicht endlich über männliche Gewalt gesprochen wird, dann wird diese Realität der Status quo bleiben - und Frauen nicht sicher.