nd-aktuell.de / 08.08.2017 / Politik / Seite 5

Grammatikhilfe von VW

Stephan Weils Volkswagen-Rede ist nur vordergründig skandalös / CDU-Opposition wusste schon 2016 von Absprachen mit dem Konzern

Velten Schäfer

»Niedersachsen. Es läuft« - das war einer der Vorschläge für einen neuen Landesmarketingspruch, den sich die rot-grüne Regierung in Hannover 2013 zulegen wollte. Der Claim fiel durch. Und nun zeigt sich, dass für die Regierung aus SPD und Grünen gar nichts mehr läuft.

Da ist einmal der Skandal um den am Ende gewählten Slogan »Niedersachsen. Klar«, dessen vergaberechtliches Zustandekommen recht unklar verlief, was nun unter anderem einen Untersuchungsausschuss beschäftigt. Dann ließ eine grüne Hinterbänklerin die Koalitionsmehrheit platzen. Und direkt im Anschluss enthüllte »Bild am Sonntag« aus anonymen Quellen, dass sich SPD-Regierungschef Stephan Weil 2015 eine Regierungserklärung zum Dieselskandal von VW habe »weichspülen« lassen.

Der Vorgang klingt zunächst ungeheuerlich und wurde bundespolitisch entsprechend kommentiert. Herbert Behrens, niedersächsischer Bundestagsabgeordneter der Linkspartei und ehemaliger Vorsitzender im Dieselskandal-Ausschuss, nannte den Vorgang einen Hinweis auf die »wahren Machtverhältnisse«. Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir sieht die »Fundamente« der sozialen Markwirtschaft erschüttert - und CSU-General Andreas Scheuer fordert den sofortigen Rücktritt Weils noch vor der vorgezogenen Landtagswahl, zu der das Überlaufen jener Grünen ohnehin zwingt.

Stephan Weil und SPD-Vize Ralf Stegner sprechen dagegen von einem Wahlkampfmanöver. Der Vorgang um das Gegenlesen jener Rede sei bereits vor einem Jahr im Wirtschaftsausschuss in Hannover vertraulich kommuniziert worden und habe seinerzeit nicht für Widerspruch gesorgt. Zudem könne von einem weitreichenden Umschreiben nicht die Rede sein.

Inhaltlich stellt sich die Situation am Montag folgendermaßen dar: Die Veränderungen im VW zugeleiteten Text, die tatsächlich auf Vorschläge des Konzerns zurückgehen, sind gemäß eines inzwischen von der Staatskanzlei veröffentlichten Dokuments, das die Änderungen transparent macht, wenig gravierend.

So wurde der Satz »VW hat (...) gegen Gesetze verstoßen« durch die unbestimmtere Formulierung ersetzt, es sei »gegen Gesetze (...) verstoßen worden«. Modifiziert wurde eine Stelle, an der es um jene 6,5 Milliarden Euro ging, die 2015 zur Bereinigung der Affäre zurückgestellt wurden. Hier wurde gestrichen, dass dieses Geld »für die Rückrufaktion« bestimmt sei; die Summe aber blieb im Text. Gefolgt ist die Staatskanzlei etwa auch der VW-Anregung, eine Passage zu streichen, in der das amerikanische Verfahrensrecht als »sehr streng« qualifiziert wurde. Über diese kaum sinnentstellenden Eingriffe hinaus sorgte VW demnach für die Bereinigung eines Grammatikschnitzers.

Wie neu sind nun die Informationen um die Rede tatsächlich? Auf diese Frage hin hieß es am Montag bei der CDU in Hannover gegenüber »nd« schriftlich, der Wirtschaftsausschuss sei darüber informiert gewesen, »dass es bei der Erstellung der Regierungserklärung« eine »allgemeine Koordinierung« mit VW gegeben habe. Die »konkrete Form« sei jedoch »verschwiegen« worden. Der Skandal bestehe darin, dass »die Regierungssprecherin dem Cheflobbyisten eines Unternehmens Gelegenheit gibt, eine Regierungserklärung vorab wie auch immer zu prüfen oder zu frisieren«. Die Koordinierung selbst ist also nicht das Problem. Und wie eine korrekte Form ausgesehen hätte, konnte Sprecher Eike Frenzel mündlich auch nicht sagen.

Bemerkenswert ist unter dem Strich weniger, dass der Regierungschef Niedersachsens einem Unternehmen, in dem das Land Großaktionär ist, eine Rede zukommen ließ, um in heikler Lage juristische Schäden in Übersee auszuschließen. Sondern eher, dass »Bild am Sonntag« in seinem Umfeld wohl über ein Leck verfügt. Denn im Artikel des Blattes wurde nicht das VW wirklich zugesandte Manuskript mit der später vorgetragenen Version verglichen, sondern Bestandteile eines Entwurfes, der dann im Haus noch überarbeitet worden war.

Die Union hat jedenfalls blitzartig auf Wahlkampf umgestellt. Laut weist man auch Anschuldigungen zurück, jener Grünen ein Angebot gemacht zu haben. Die »Hannoversche Allgemeine« fühlte sich am Wochenende dennoch an 1976 erinnert. Damals wurde der CDU-Mann Ernst Albrecht Ministerpräsident, obwohl die Union drei Mandate weniger hatte als die damalige Koalition aus SPD und FDP. Vom wem die Stimmen kamen und ob es Gegenleistungen gab, ist unbekannt.