Der drastische Mietanstieg in vielen Städten sowie Konflikte um Verdrängung haben die Wohnungsfrage zurück in die politischen Debatten und auf die Straße gebracht. Wie in kaum einem anderen Bereich unseres Alltags prallen hier existenzielle soziale Bedürfnisse und ökonomische Interessen einer marktförmig organisierten Wirtschaft aufeinander. Eine soziale Wohnungsversorgung – das zeigen die letzten 150 Jahre der kapitalistischen Urbanisierung – muss fast immer gegen private Gewinninteressen durchgesetzt werden. Wie stellen in dieser Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung gängige Behauptungen in den gegenwärtigen wohnungspolitischen Auseinandersetzungen auf den Prüfstand.
»Privateigentümer müssen ermutigt und nicht eingegrenzt werden.«
Udo di Fabio, Richter am Bundesverfassungsgericht a. D., in seiner Rede auf dem »Tag des Eigentums« 2015 der Haus & Grund Stuttgart
Wann immer eine umfassendere staatliche Regulierung der Wohnungsmärkte oder eine Stärkung von öffentlichen Wohnungsunternehmen gefordert wird, ist das Gegenargument von den angeblich überlegenen Marktmechanismen nicht weit. Nicht nur in wirtschaftsliberalen Kreisen ist der Glaube fest verankert, auch für das Gut Wohnung sei »das marktwirtschaftliche Ordnungsprinzip von Angebot und Nachfrage, Wettbewerb und dezentralen Investitionsentscheidungen am effektivsten«, um »die notwendige Bedarfsdeckung zu gewährleisten«. Behauptet wir also, dass private Unternehmen öffentlichen oder anderen nicht gewinnorientierten Wohnungsversorgern überlegen sind. Es wird so getan, als seien der freie Markt und nach Prinzipien ökonomischer Rationalität handelnde Akteure am besten dazu in der Lage, eine ausreichende Anzahl von Wohnungen zu den nachgefragten Bedingungen bereitzustellen und sinnvoll zu verteilen.
Zunächst einmal: Der vielbeschworene freie Wohnungsmarkt ist eine Fiktion. Der Wohnungssektor ist tatsächlich einer der am stärksten staatlich subventionierten Wirtschaftsbereiche in Deutschland. Jedes Jahr profitieren private Bauherren von steuerlichen Vorteilen in Höhe von acht Milliarden Euro. Zusätzlich fließen jährlich etwa 17 Milliarden Euro an Steuergeldern in die Kassen von Wohnungs- und HauseigentümerInnen und Außerdem ist der Wohnungsmarkt auch in anderer Hinsicht kein typischer Markt, weil es ihm sowohl an Transparenz als auch an Anpassungsfähigkeit mangelt und weil bei der Vergabe von Wohnungen – anders als etwa beim Verkauf von Autos – persönliche Präferenzen eine wichtige Rolle spielen. Viele Menschen mit ausländisch klingenden Namen oder kinderreiche Familien können ein Lied davon singen, wie sie bei der Wohnungssuche manchmal ganz offen, manchmal verdeckt diskriminiert werden. Unter den gegenwärtigen Bedingungen erfolgt die Verteilung von Wohnungen vor allem nach dem Kriterium der Zahlungskraft der Nachfragenden. Wohnungssuchende mit geringen Einkommen haben dabei systematisch das Nachsehen, sodass insbesondere ihre »Bedarfsdeckung« auf der Strecke bleibt. Da es in der ökonomischen Rationalität des unternehmerischen Wettbewerbs keine Anreize gibt, soziale Belange zu berücksichtigen, lässt sich auch von einer sozialen Blindheit des Wohnungsmarkts sprechen.
Dieser Markt versagt schon bei der Her- und Bereitstellung ausreichend preiswerter Wohnangebote. Private Investoren konzentrieren sich in der Regel auf die Hochpreissegmente und auf Eigentumswohnungen. Über 95 Prozent der privat gebauten Mietwohnungen können sich Normalverdienende gar nicht leisten. Von den Mietwohnungen, die in den vergangenen Jahren in den 20 größten Städten von privater Hand errichtet wurden, sind nur 4,7 Prozent für das Gros der Bevölkerung bezahlbar. Als bezahlbar gilt eine Wohnung dann, wenn ein durchschnittlicher Haushalt höchstens 30 Prozent seines Einkommens für die Kaltmiete aufwenden muss.
Auch bei der Bewirtschaftung von Wohnungsbeständen tun sich private Unternehmen erfahrungsgemäß mehrheitlich nicht gerade durch die Übernahme sozialer Verantwortung hervor. In der Praxis bedeutet ihre Orientierung an einer wirtschaftlich rationalen Optimierung von Einnahmen und Ausgaben, dass alle Möglichkeiten zu Mietsteigerungen ausgeschöpft werden, solange sie durchsetzbar sind. Zugleich sind Instandsetzungs- arbeiten und Modernisierungen von Wohnungen immer nur dann rational, wenn sie höhere Ertragserlöse versprechen. Das Ziel einer unternehmerischen Bewirtschaftung sind nicht gute Wohnverhältnisse oder zufriedene MieterInnen, sondern eine möglichst hohe Rendite. Lässt die soziale Lage in bestimmten Gebieten keine hohen Mieteinnahmen zu, sparen viele private Wohnungsunternehmen bei den Instandhaltungskosten, was häufig zur Verwahrlosung der Wohnbestände und ihres Umfeldes beiträgt.
Da sich mit unterdurchschnittlichen Mieten keine überdurchschnittlichen Renditen erzielen lassen, gibt es faktisch keine unternehmerische Motivation für die Bereitstellung und Pflege von preiswertem Wohnraum.
Andrej Holm ist Sozialwissenschaftler und zählt zu den prominetesten Experten eines kritischen Blicks auf Stadterneuerung, Gentrifizierung und Wohnungspolitik. Von ihm ist unter anderem erschienen: »Mietenwahnsinn. Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert« (bei Knaur, München). Die Serie ist zuerst als Heft Nummer 15 in der Reihe »luxemburg argumente«[1] der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen. Sie kann unter rosalux.de kostenlos heruntergeladen werden.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1060735.private-koennen-es-einfach-besser.html