nd-aktuell.de / 17.08.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Mindestlohn stabilisiert Gehälter

Statistisches Bundesamt: Spannweite der Tarifverdienste verringert

Rainer Balcerowiak

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns am 1. Januar 2015 hat in vielen Branchen auch zu einer Verringerung der Spreizung zwischen den niedrigsten und den höchsten tariflichen Lohngruppen geführt. Das geht aus einer Erhebung hervor, die am Mittwoch vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden veröffentlicht wurde.

Profitiert haben besonders tarifgebundene Beschäftigte in Branchen, in denen es vor Einführung des Mindestlohn bereits tariflich vereinbarte Löhne gab, die unter dem Niveau von zunächst 8,50 Euro und seit dem 1. Januar 2017 von 8,84 Euro pro Stunde lagen. In diesem Segment verringerte sich der Abstand zwischen der niedrigsten und der höchsten Lohngruppe um 5,7 Prozent.

Spitzenreiter ist dabei das Gastgewerbe mit 7,2 Prozent. Auch in der Land- und Forstwirtschaft, der Fischerei, bei Wach- und Sicherheitsdiensten, im Transport- und Lagergewerbe sowie im Erziehungs- und Unterrichtsbereich gab es signifikante Rückgänge bei der Lohnspreizung.

Die Entwicklung wird sich in diesem Jahr fortsetzen, da alle Übergangsregelungen für tarifliche Vergütungen unter Mindestlohnniveau, wie es sie derzeit etwa noch bei Friseuren, Floristen, Fleischern sowie in der Landwirtschaft und im privaten Verkehrsgewerbe gibt, spätestens zum Jahresende auslaufen. Falls es bis dahin keine Flächen- oder Haustarifverträge bzw. Branchenmindestlöhne mit einer Mindestvergütung von 8,84 Euro pro Stunde gibt, gilt automatisch der gesetzliche Mindestlohn als Untergrenze.

Eine leicht gegenläufige Entwicklung gab es im Untersuchungszeitraum zwischen Dezember 2014 und Juni 2017 im Öffentlichen Dienst und in an dessen Tarifstruktur (TvöD) angegliederten Bereichen, was hauptsächlich auf die Einführung einer neuen »Erfahrungsstufe« für langjährig Beschäftigte zurückzuführen ist.

Die Unterschiede bei der tariflichen Lohnspreizung zwischen den Branchen bleiben allerdings erheblich. Im Bereich Erziehung und Unterricht beträgt dieser Faktor 4,05. Das bedeutet, die höchste Vergütung ist rund vier Mal höher als die niedrigste. Im Baugewerbe beträgt dieser Faktor lediglich 1,74, der gesamtwirtschaftliche Durchschnitt liegt bei knapp 3,03. Bei der Erhebung wurden allerdings ausschließlich Tariflöhne untersucht. Außertarifliche Vereinbarungen, z.B. für Führungskräfte bis hin zu Topmanagern und die Beamtenbesoldung, fanden ebenso wenig Berücksichtigung wie die Entlohnung in nicht tarifgebundenen Betrieben.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans Böckler-Stiftung kommt in seinen Erhebungen zu ähnlichen Ergebnissen. Neben der stabilisierenden Wirkung des gesetzlichen Mindestlohns und der Branchenmindestlöhne im Niedriglohnsektor sei dies auch auf die Tarifpolitik der Gewerkschaften zurückzuführen, so Malte Lübker, Referatsleiter für Tarif- und Einkommensentwicklung beim WSI, am Mittwoch gegenüber »nd«. In vielen Branchen seien bei Tarifabschlüssen prozentual überproportionale Einkommenszuwächse für untere Lohngruppen erreicht worden. Dabei müsse allerdings berücksichtigt werden, »dass nur 25 Prozent der Beschäftigten im unteren Fünftel der Lohnpyramide in Betrieben mit Tarifbindung arbeiten.« Daher bleibe es »eine Kernaufgabe der Gewerkschaften, eine höhere Tarifbindung gerade in Bereichen mit ausgeprägten Niedriglohnsektoren durchzusetzen«. Zumal es bei der Tarifbindung nicht nur um die Vergütung, sondern auch um Urlaubsansprüche und branchenspezifische Vereinbarungen wie Altersteilzeit und Fortbildung gehe.

Dies müsse auch politisch flankiert werden, »beispielsweise durch eine Stärkung der Regelungen für die Tariftreue in den Landesvergabegesetzen, so dass eine tarifvertragliche Bezahlung der Beschäftigten in allen Ländern als verbindliches Kriterium für öffentliche Aufträge implementiert wird«, so Lübker weiter.

Allerdings darf angesichts der tendenziell positiven Entwicklung bei der Lohnspreizung nicht übersehen werden, dass es nach wie vor enorme Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt gibt. In einer ebenfalls am Mittwoch veröffentlichen Untersuchung kommt das Statistische Bundesamt zu dem Ergebnis, dass trotz boomender Wirtschaft der Anteil prekärer Beschäftigung an der Gesamtquote der Erwerbstätigkeit nahezu unverändert hoch ist. So stieg die Zahl der befristet Beschäftigten zwischen Ende 2015 und 2016 binnen zwölf Monaten um 134 000 auf 2,665 Millionen und die der Leiharbeiter um 61 000 auf 737 000. Und 2,169 Millionen Arbeitnehmer sind lediglich geringfügig beschäftigt.