nd-aktuell.de / 17.08.2017 / Kultur / Seite 14

Menschliches, allzu Menschliches

Christine Bonansea gastiert mit »OnlyHuman« im Dock 11

Tom Mustroph

Ein Körper, in Rumpf und Gliedmaßen aufgespalten, die in je eigenem Rhythmus zucken. So beginnt »OnlyHuman«, eine zum Ende mit einer Gruppenperformance angereicherte Soloshow der französischen Choreografin und Tänzerin Christine Bonansea über den menschlichen Körper im Zeitalter seiner digitalen und prothetischen Erweiterungen. Dabei operiert Bonansea im Randbereich von lediglich illustrierend bis hin zu tatsächlich forschendem Tanz. Durchaus eine Entdeckung, selbst wenn Bonansea bereits seit einigen Jahren im Dock 11 zu Gast ist.

Bonansea holt zu Beginn ihr Publikum im Science Fiction-Bereich von »Terminator«, »Matrix« und Co. ab. Sie macht all dies aber allein, ohne den ganzen Trickapparat des Films; das ist beachtlich. Denn sie hat lediglich ihren Körper, den sie in ein paar Kleidungsschichten verpackt. Ein locker sitzender Jogginganzug ist dies zunächst, in dem sie die Zuckungen produziert. Das hat Labor-Charakter, weil sich Bonansea nicht einmal scheut, das flackernde Projektionslicht, das bis dahin die Künstlichkeit ihrer Bewegungen unterstrich, auszuschalten und in hellem, den ganzen Raum erfassendem Arbeitslicht, einzelne Bewegungsstudien zu präsentieren.

Später setzt sie die Jacke unter Spannung; sie verwandelt sie in eine Haut, unter der ein neues Wesen entsteht - größer, länger, gedehnter. Die ausgestreckten Arme mit den zu Fäusten geballten Händen werden unter der Kapuze zu einem neuem Kopf auf langem Hals. Noch später entledigt sie sich dieser Hülle, schlüpft aus ihr und gebiert sich als neues schwarz glänzendes Wesen neu. Diese Metamorphosen ereignen sich in einem sorgsam konstruierten Raum aus Klang- und Lichtwellen, die ein pulsierendes Gebilde erzeugen, sich überlagern, verstärken und auslöschen sowie vielfältige optische und akustische Interferenzen erzeugen.

Bonansea hat sich dafür die Komponistin und Interface-Bastlerin Nicole Carroll und den Videokünstler Yoann Trellu an die Seite geholt. Carroll ist für die an- und abschwellenden Klangwellen zuständig und zeigt die Performance auch live. Trellu, ein ehemaliger Röntgentechniker, scannt mit Lichtstrahlen förmlich den Körper Bonanseas ab. Licht und Klang gehen dabei Verbindungen miteinander ein. Sie verschmelzen zuweilen, kontrastieren miteinander. Sie hüllen mal den Körper der Tänzerin in einen technischen Kokon ein, mal stellen sie ihn auch bloß.

In einer weiteren Verarbeitungsstufe werden Momentaufnahmen des bewegten Körpers von Bonansea als dynamische Abbilder mit Interferenz- und Schwingungslinien als Projektionen auf den Boden geworfen. Da entsteht für Momente tatsächlich etwas über den Menschen Hinausgehendes. Bonansea bezieht sich in ihrem Stück auf den Philosophen Friedrich Nietzsche und dessen Überlegungen zum »Menschlichen, allzu Menschlichen« und zum Konzept des »Übermenschen«. In dieser Sequenz hätte man der Solokünstlerin allerdings gern einen helfenden Blick von außen gewünscht. Denn es wirkt eher zufällig, wann sie sich selbst ins Licht der Projektionen begibt und wann sie nur kaum erkennbar jenseits des Lichtfeldes ihre Bewegungen ausführt. Konzentrierter dann wieder ihr Tanz in einem schmalen roten Lichtspalt, der sehr effektvoll an die Wand projiziert wird.

Insgesamt wirkt der Abend heterogen. Bonansea reißt zahlreiche Ideen an. Die würden thematisch für mehrere Stücke reichen. Eine Konzentration auf einzelne Aspekte und deren Vertiefung wäre vielleicht sinnvoller gewesen.

Kaum über Workshop-Ebene hinaus gelangt leider die Vervielfältigung des Bewegungsmaterials durch eine neunköpfige Tänzergruppe, die im zweiten Teil des Programms die Bühne flutet. Die Idee der Vermassung ist zwar schön, aber mehr Probenarbeit und vor allem klarere Entscheidungen für einzelne Bewegungsformen wären wohl besser gewesen.

Immerhin aber überzeugt die Neugier gegenüber neuen Formen bei dieser in Frankreich geborenen und derzeit in New York arbeitenden Künstlerin. In ihrer ästhetischen Suchbewegung ist sie weit mutiger als jene Künstler, die vergangenes Wochenende das prominente Festival »Tanz im August« eröffneten.

Bis 19. August., 19 Uhr, Dock 11, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg