nd-aktuell.de / 18.08.2017 / Kommentare

»Neubau entlastet den Mietwohnungsmarkt«

Stimmt das überhaupt? Aufklärung über die herrschenden Mythen in der Wohnungsfrage. Teil 3 der nd-Serie »Muss die Miete immer teurer werden?«

Der drastische Mietanstieg in vielen Städten sowie Konflikte um Verdrängung haben die Wohnungsfrage zurück in die politischen Debatten und auf die Straße gebracht. Wie in kaum einem anderen Bereich unseres Alltags prallen hier existenzielle soziale Bedürfnisse und ökonomische Interessen einer marktförmig organisierten Wirtschaft aufeinander. Eine soziale Wohnungsversorgung – das zeigen die letzten 150 Jahre der kapitalistischen Urbanisierung – muss fast immer gegen private Gewinninteressen durchgesetzt werden. Wir stellen in dieser Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung gängige Behauptungen in den gegenwärtigen wohnungspolitischen Auseinandersetzungen auf den Prüfstand.

»Das beste Mittel gegen steigende Mieten ist immer noch der Bau von mehr Wohnungen.« Jan-Marco Luczk, Rechtsanwalt und Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU

Wie wird argumentiert?

Der Ruf nach mehr Neubauten als Antwort auf steigende Mieten geht zurück auf die Logik von Angebot und Nachfrage. Die Annahme lautet: Gibt es zu wenige Wohnungen für die bestehende Nachfrage in einer Stadt, dann steigt die Konkurrenz um die Wohnungen und in der Folge steigen auch die Preise. Will man erreichen, dass sich der Markt wieder beruhigt, muss man demnach das Angebot erhöhen. »Wenn nämlich das Angebot größer ist, erhöht sich auch der Wettbewerb um die Mieter und die Mietpreise sinken wieder«, so stellvertretend für viele Mechthild Heil, die Verbraucherschutzbeauftragte der CDU/ CSU.

Ein zweites Argument für den Neubau geht von sogenannten Sickereffekten aus. Es heißt, durch die Neubauförderung würden Umzugsketten in Gang gesetzt, mit denen die Vorteile des Neubaus an andere Haushalte, insbesondere an solche mit niedrigerem Einkommen, »durchsickern« würden. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der für Bau und Verkehr zuständig ist, formuliert es folgendermaßen: »Es ist in Ordnung, wenn jemand eine etwas teurere Wohnung baut oder kauft. Weil, in der Regel macht er eine andere Wohnung frei, in der er bisher gewohnt hat, die dann jemand anders beziehen kann.«

Was ist dran?

Richtig ist, dass auf entspannten Wohnungsmärkten mit einem Überangebot an Wohnungen keine hohen Mietpreise aufgerufen werden können. Das sieht man an vielen Städten und Regionen mit rückläufigen Einwohnerzahlen, wo HauseigentümerInnen zu günstigen Mietpreisen vermieten müssen, wenn sie keinen Leerstand riskieren wollen. Doch der umgekehrte Effekt tritt nicht zwangsläufig ein. Hohe Mietpreise konzentrieren sich meist auf besonders nachgefragte Lagen oder bestimmte Wohnungsangebote. Wenn es zum Beispiel eine hohe Nachfrage nach innerstädtischen Altbauwohnungen gibt, wird der Neubau von Einfamilienhäusern am Stadtrand den Nachfragedruck in diesem Marktsegment nicht wirklich entspannen.

Wenn Wohnungen für größere Familien knapp sind, hilft ein Überangebot an Einraumwohnungen wenig, wenn dringend preisgünstige Mietwohnungen benötigt werden, können teure Eigentumswohnungen diesen Mangel nicht beseitigen. Es kommt also nicht nur darauf an, dass Wohnungen neu gebaut werden, sondern darauf, was für Wohnungen für welche Bevölkerungsgruppen errichtet werden. In vielen Städten werden vor allem günstige Wohnungen und solche mit Belegungsbindungen benötigt. Diese werden von privaten Investoren in der Regel nicht bereitgestellt, weil sie keine Rendite versprechen.

Auch die behaupteten positiven Sickereffekte sind durch die sogenannte Segmentierung von Wohnungsmärkten, das heißt die Aufspaltung nach bestimmten Bevölkerungsgruppen, begrenzt. Es kann auf angespannten Wohnungsmärkten sogar dazu kommen, dass bei jeder Neuvermietung einer freiwerden- den Wohnung die Miete angehoben und somit ein Anstieg der Mietpreise noch beschleunigt wird. Im Ergebnis würden Neubauten damit den Bestand an preiswerten Wohnungen nicht erhöhen, sondern noch weiter reduzieren.

Ein weiteres Problem hat mit der Marktlogik selbst zu tun. Die ökonomischen Anreize für einen Neubau richten sich nach den sonstigen Mietangeboten. Gibt es viele preiswerte Mietwohnungen im Bestand, lohnt sich Neubau nicht, weil Wohnungssuchende nicht bereit sein werden, die höheren Mieten von Neubauwohnungen zu zahlen. Sind Wohnungsmärkte so angespannt, dass auch die Bestandsmieten deutlich anziehen, steigt nicht nur die Bereitschaft, in teure Neubauwohnungen zu ziehen, sondern auch die Ertragslage in den Bestandsimmobilien selbst. Da der Erwerb eines Wohnhauses im Vergleich zum Neubau mit weniger Risiko für die Investoren verbunden ist, sind auf angespannten Wohnungsmärkten Investitionen in den Bestand attraktiver.

Fazit

Solange es keine Einschränkungen bei den Spekulationsgewinnen mit Bestandsobjekten gibt, wird es keine bedarfsdeckenden Neubauinvestitionen geben.

Andrej Holm ist Sozialwissenschaftler und zählt zu den prominetesten Experten eines kritischen Blicks auf Stadterneuerung, Gentrifizierung und Wohnungspolitik. Von ihm ist unter anderem erschienen: »Mietenwahnsinn. Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert« (bei Knaur, München). Die Serie ist zuerst als Heft Nummer 15 in der Reihe »luxemburg argumente«[1] der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen. Sie kann unter rosalux.de kostenlos heruntergeladen werden.

Links:

  1. https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Argumente/lux_argu_15_Wohnen_dt_06-17.pdf