nd-aktuell.de / 23.08.2017 / Berlin / Seite 10

Flexibel in die Work-Life-Balance

Arbeitgeber möchten die Arbeitszeitgesetze in der Gastronomie verschärfen / Gewerkschaften wehren sich

Philip Blees

»Dienstleister sein heißt flexibel sein.« - »Flexibles Arbeiten für mehr Work-Life-Balance.« - »Wochenarbeitszeit nach EU-Recht schafft Flexibilität.« Zehnmal erwähnt der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in seiner Broschüre zur Wochenarbeitszeit die Worte »flexibel« oder »Flexibilität«. Es ist die Stoßrichtung des Verbandes. »Es geht um eine Lösung, von der alle profitieren: Unternehmer, Mitarbeiter und unsere Gäste, die zu jeder Zeit besten Service erwarten - 365 Tage im Jahr, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag«, schreiben die Unternehmer. Sie wollen vor der Wahl mobil machen für eine Änderung der Arbeitszeitgesetze. Tagesarbeitszeiten seien nicht mehr der heutigen Arbeitswelt angepasst und müssten durch eine Wochenarbeitszeit ersetzt werden. Dabei treten die täglichen Arbeitsstunden in den Hintergrund, und es soll das zählen, was über den Zeitraum einer Woche geleistet wird.

In Berlin wären davon, laut der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), 109 000 Arbeitnehmer betroffen. Außerdem würden heute schon 180 000 Menschen sonntags und 105 000 nachts arbeiten. Zwischen 18 und 23 Uhr sollen 298 000 Beschäftigte regelmäßig auf ihrem Arbeitsplatz sein.

Laut dem Arbeitgeberverband müssen die Beschäftigten nach der Umstellung auf die Wochenarbeitszeit kein Mehr an Arbeitsstunden bewältigen. Diese sollen nur anders eingeteilt werden. Doch Gewerkschaften wehren sich gegen Vorschlag des Dehoga und halten an dem alten Konzept fest. »Das ist einfach Arbeitsschutz«, erklärt Nina Lepsius, Sprecherin des Deutschen Gewerkschaftsbundes Berlin-Brandenburg (DGB). Die NGG kritisiert den Vorstoß des Arbeitgeberverbandes scharf. »Die Behauptung des Dehoga, ein zu strenges Arbeitszeitgesetz belaste die Branche über alle Maßen, ist nicht zu halten«, sagt Uwe Ledwig. Der Geschäftsführer der Gewerkschaft möchte der Umstellung auf wöchentliche Höchstarbeitszeiten eine klare Absage erteilen.

Sebastian Riesner, Sekretär der NGG, sieht eine Gefahr für die Arbeitnehmer. Neben der Erhöhung der Höchstarbeitszeiten von zehn auf zwölf Stunden am Tag sollen nämlich auch die Ruhezeiten verkürzt werden. Künftig dürfen auch nur noch zehn - statt elf - Stunden zwischen den Schichten liegen, wenn es nach den Unternehmern gehen würde, meint Riesner. Das sei eine erhebliche Belastung der Arbeitnehmer, und es würde beispielsweise auch zu mehr Arbeitsunfällen kommen. Eine neue Änderung sei unnötig. »Überstunden sind sowieso schon die Regel«, erklärt der Gewerkschaftssekretär.

Das erlebte auch Mona, die ihren Nachnamen nicht in einer Zeitung lesen möchte. Sie wollte sich als Studentin in Berlin etwas in der Gastronomie dazuverdienen. »Wenn zu viel los war, mussten wir länger machen«, sagt sie. Das war keine Pflicht, der Druck ließ jedoch niemanden Nein sagen. Und: »Die meisten haben es einfach gemacht.« Ihre längste Schicht war 15 Stunden lang. Als Minijobberin wurde sie für die Überstunden auch bezahlt, doch wie es bei den kaum ausgebildeten Festangestellten war, kann sie nicht genau sagen. Heute arbeitet sie nicht mehr in der Gastronomie.