nd-aktuell.de / 23.08.2017 / Berlin / Seite 10

Raus aus der Schmuddelecke

Familienberatung bekommt mehr Stellen / Aufsuchende Arbeit mit Geflüchteten verlängert

Ellen Wesemüller

Es ist kalt an diesem Augustmorgen in Wilmersdorf. Eine junge Frau betritt mit einer leeren IKEA-Tasche die Kleiderkammer der Caritas, die Kapuze ihres Pullis tief ins Gesicht gezogen. Kurze Zeit später kommt sie wieder hinaus auf die Pfalzburger Straße, die Tasche prall gefüllt mit Kinderkleidung. Vorbei an Sandra Scheeres, die hier im Eingang des ehemaligen Klosters Hände schüttelt.

Die sozialdemokratische Bildungssenatorin hat heute zur Tour an die Wirkstätten der Familienberatung geladen. Und sie hat gute Nachrichten zu verkünden: Jüngst hat sie verhandelt, dass es mehr Stellen für die Erziehungs- und Familienberatungen der Stadt geben soll: Eine halbe Stelle mehr für die freien Träger pro Bezirk, das macht zwölf ganze Stellen über zwei Jahre. Der Senat hat den Entwurf für den Doppelhaushalt 2018/19 Anfang Juli beschlossen. Nun muss noch das Abgeordnetenhaus zustimmen. »Ich hoffe, dass die Parlamentarier meine Schwerpunkte nachvollziehen«, sagt Scheeres.

Doch sie will sich heute nicht nur selbst loben, sondern Aufmerksamkeit schaffen für die Arbeit der Beratungsstellen, denn deren »Verantwortung ist ja nicht ohne«. Politische Aufmerksamkeit, aber auch Werbung in Richtung der Familien: »Ich möchte mit diesem Termin deutlich machen, dass sich niemand schämen muss, hierher zu kommen.« Rolf Göpel, Regionalleiter der Caritas Berlin, bestätigt, dass es einen enormen Bedarf gibt: »Auch in Charlottenburg-Wilmersdorf. Die armen Familien verstecken sich hier nur.«

Die erste Station der Tour ist dann auch der Raum für Babyausstattung. Hier steht ein auf Hochglanz polierter Hochsitz aus Holz sowie ein roter Bugaboo, der als Mercedes unter den Kinderwagen gilt. Die Hemdchen hängen fein säuberlich an den Kleiderstangen. »Es sieht hier aus wie in einem Secondhandladen, nicht wie in einer Kleiderkammer«, sagt Scheeres. »Wir wollen aus der Schmuddelecke raus«, bestätigt Barbara Lange, die hier ehrenamtlich arbeitet. Dafür sortiert ihr Team viel aus. »Wir sagen: Bringt uns das, was ihr euren Kindern selber anziehen würdet.«

Auch die Mitarbeiter zeigen sich erfreut über den zu erwartenden Stellenzuwachs. Denn es gibt immer mehr Familien mit Problemen - zum Beispiel Eltern, die psychisch krank werden. »Die finanzielle Not wird größer, das kompensieren manche Eltern über psychische Erkrankungen«, sagt Verhaltenstherapeutin Monika Tschorn. Auch trennen sich Eltern öfter. Manchmal nützt es dann auch nichts, wenn die Beratung gute Modelle für betroffene Kinder ausarbeitet. Ulrike Kostka, Caritas-Direktorin für das Erzbistum Berlin, erzählt: »Viele getrennte Eltern müssen zusammen bleiben, weil alternative Wohnungen nicht vorhanden sind. Die können sich selbst Mittelschicht-Eltern oft nicht mehr leisten.«

Zweite Station der Tour ist die Geflüchteten-Unterkunft in der Eschenallee in Westend. Seit Juli 2016 gibt es die aufsuchende Beratung: Insgesamt zwölf Psychologen besuchen die Unterkünfte und beraten geflüchtete Familien. Finanziert wird das über den Masterplan für Integration und Sicherheit, auch 2018 und 2019 soll die Arbeit weitergehen. Die Idee dahinter: ein freiwilliges und nicht staatliches Angebot zu schaffen, denn bei Unterstützung durch Jugendämter und Familienhelfer hätten die Geflüchteten schnell Angst, dass ihnen die Kinder weggenommen werden.

Das erzählt Hannes Rogler, einer der aufsuchenden Psychologen. Er erzählt auch, dass rund die Hälfte der Geflüchteten depressiv ist, 45 Prozent litten unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Scheeres sagt: »Ich glaube, dass wir das sehr unterschätzen. Wir denken ja: Die Familien sind hier in Sicherheit.«

Rogler hat sich etwas Besonderes vorgenommen: eine Vätergruppe, geleitet vom Syrer Ghadban Abo Ghalyoun. Der Geflüchtete erzählt mit brüchiger Stimme von den Problemen, vor denen Väter stehen: »Ich habe eine Privatschule in Homs geleitet. Nun sitze ich hier herum und starre in die Gegend. Gleichzeitig stehe ich vor meinen Kindern und versuche, nicht wie ein frustrierter Vater auszusehen.« Er will anderen Vätern Mut machen. Die Väterrunde wird sich erstmals am 12. September in der Pfalzburger Straße treffen.