Arbeitszeugnis: Beurteilungen sind auch im Berufsleben meist höchst subjektiv

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Der Frau war gekündigt worden. Sie bekam ein Arbeitszeugnis, in dem ihr der Chef bescheinigte, sie habe »die ihr übertragenen Aufgaben stets einwandfrei« erledigt. Doch das Zeugnis enthielt Rechtschreibfehler, außerdem hatte man den Geburtsort der Frau falsch angegeben. Sie bat den Arbeitgeber, die Fehler zu korrigieren. Das geschah auch, doch dann entdeckte die Arbeitnehmerin, dass gleichzeitig eine Formulierung im Zeugnis geändert worden war: Nun stand da nur noch »einwandfrei«, nicht mehr »stets einwandfrei«. Damit wollte sich die Frau nicht abfinden, sie klagte die bessere Note ein.
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer ein »neues« Zeugnis auszustellen, so das Bundesarbeitsgericht, wenn das erste Zeugnis nach Form und Inhalt nicht den Anforderungen genügt. Bei dieser Korrektur sei er an den bisherigen Text gebunden, sofern der Text vom Arbeitnehmer nicht beanstandet worden sei. Nur ausnahmsweise dürfe er den Inhalt des Zeugnisses nachträglich verändern - nämlich dann, wenn er nach der Ausstellung des ersten Zeugnisses von Umständen erfahre, die auf Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers ein anderes Licht werfen. Das treffe hier aber nicht zu. (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Juni 2005 - 9 AZR 352/04)
Beurteilungen sind so eine Sache - und meist höchst subjektiv. Das weiß fast jeder aus den Zeugnissen seiner Schulzeit. Mit dem wirklichen Leben hatten die Beurteilungen seinerzeit ebenso wenig zu tun wie die heutigen aus dem Berufsleben. Und weil per Gesetz der Willkür kleinere Grenzen gesetzt wurden, hat sich eine Art Geheimsprache der Arbeitgeber herausgebildet, über die ganze Bücher geschrieben wurden.
Um sich in der Zeugnissprache einigermaßen zurecht zu finden, sollten die gängigsten Formulierungen und ihre tatsächliche Bedeutung bekannt sein. Für die Beurteilung gelten allgemein folgende Aussagen:
Der Arbeitnehmer hat die ihm übertragenen Aufgaben
- stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt (bescheinigt sehr gute, überdurchschnittliche Leistungen);
- stets zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt (bringt eine gute Leistung zum Ausdruck);
- zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt (beschreibt eine befriedigende, durchschnittliche Leistung);
- zu unserer Zufriedenheit erledigt (bescheinigt eine unterdurchschnittliche, aber ausreichende Leistung);
- im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit erledigt (die Leistung wird insgesamt als mangelhaft bewertet);
- hat sich bemüht, die ihm übertragene Arbeit zu unserer Zufriedenheit zu erledigen (bedeutet eine völlig ungenügende Leistung).
Gebraucht werden auch weitere, noch verklausuliertere Formulierungen. Nur ein Beispiel: Die Einschätzung, »der Arbeitnehmer führte die ihm übertragenen Arbeitsaufgaben mit Fleiß und Interesse durch« bedeutet, dass er praktisch diesen Aufgaben nicht gewachsen war. Vorsicht auch bei der Führungsbeurteilung: Wie die Beurteilung der Leistungen des Arbeitnehmers, so hat auch die Beurteilung seiner Führung und seines Verhaltens ihre eigene Sprache. Wird dem Arbeitnehmer sein Verhalten zu Vorgesetzten, Arbeitskollegen und Kunden als stets vorbildlich attestiert, so gilt das als ein Hinweis auf sehr gute, überdurchschnittliche Leistungen. Fehlt in der Beurteilung das Wörtchen »stets«, so bedeutet das nur die Note »gut«.
Zu beachten ist ferner, an welcher Stelle Vorgesetzte und Kollegen genannt werden. Wird der Vorgesetzte z.B. nur an zweiter Stelle genannt, so lautet die Beurteilung »befriedigend«. Ein »Ausreichend« kommt darin zum Ausdruck, dass nur der Vorgesetzte oder nur die Kollegen genannt werden. Fehlen beide in der Beurteilung und heißt es nur, »sein persönliches Verhalten war insgesamt einwandfrei«, so ist das als »mangelhaft oder ungenügend« zu lesen.
Der Betriebsrat hat bei der Erstellung des einzelnen Arbeitszeugnisses kein Mitbestimmungsrecht. Werden im Betrieb - besonders in größeren kann das der Fall sein - Beurteilungsfragebögen und entsprechende Textbausteine für eine standardisierte Zeugniserstellung verwandt, so hat der Betriebsrat bei der Festlegung solcher Beurteilungskriterien mitzubestimmen.
In manchen Betrieben werden aber auch von Zeit zu Zeit schriftliche Beurteilungen der Leistung von Arbeitnehmern vorgenommen, die nicht in Form von Zeugnissen ausgehändigt, sondern der Personalakte beigegeben werden. Oft merken Betroffene dies erst, wenn sie vom Recht auf Einsicht in die Personalakte gemäß § 83 Betriebsverfassungsgesetz Gebrauch machen.
Um sich die eigene Personalakte anzusehen, ist der Arbeitnehmer berechtigt, ein Mitglied des Betriebsrats hinzuzuziehen. Findet er darin solche Beurteilungen oder sonstige Feststellungen, zu denen er eine andere Meinung hat, so kann er diese schriftlich niederlegen und verlangen, dass sie in die Personalakte aufgenommen wird.
Betriebsratstätigkeit darf in einem Arbeitszeugnis nicht erwähnt werden, es sei denn, der Arbeitnehmer wünscht dies ausdrücklich. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass Betriebsratsarbeit mit der arbeitsvertraglichen Leistung des Arbeitnehmers nichts zu tun hat.
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