nd-aktuell.de / 26.08.2017 / Kultur / Seite 20

Sanfter Menschenfreund

Der Schriftsteller Dogan Akhanli wird seit Jahrzehnten von Erdogans Justiz verfolgt

Roland Kaufhold

Dogan Akhanli ist in Köln eine Berühmtheit, trotz seines bescheidenen und zurückhaltenden Auftretens. Als er 2010 in der Türkei festgenommen und mit einem kafkaesken Willkürprozess überzogen wurde, setzten sich zahlreiche Menschen für ihn ein. Auch ich gehörte dazu. Als er einige Wochen nach seiner Freilassung wieder nach Köln zurückkehrte, traf ich ihn zufällig auf der Straße. In den Monaten danach intensivierten sich unsere Kontakte. Seitdem arbeiten wir zusammen, so im PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland.

Dogan Akhanli wird im Frühjahr 1957 in Savsat am Schwarzen Meer geboren. Sein Vater ist Lehrer, seine Mutter liest ihm Klassiker der Weltliteratur vor. Diese verschlingt er. Später folgt ein Studium der Geschichte und Pädagogik. Dogan Akhanlis Politisierung in der Türkei der 1970er und 80er Jahre war eine Folge völlig überzogener staatlicher Gewaltmaßnahmen: Mit 18 Jahren kauft er sich an einem Kiosk eine linke Zeitung, er wird festgenommen. Er sitzt fünf Monate in einem Istanbuler Gefängnis, wird aber schließlich freigesprochen.

Im September 1980, am Tage des Militärputsches, geht Dogan in den Untergrund. Er schließt sich einer linken Gruppe an. 1985 wird er mit seiner Frau und seinem 16 Monate alten Sohn verhaftet. Dogan wird in deren Anwesenheit schwer gefoltert, sie hören seine Schreie. Zweieinhalb Jahre bleiben sie in Haft, in getrennten Zellen. Zweieinhalb Jahre sitzt Dogan im Istanbuler Militärgefängnis, im September 1987 wird er entlassen. Er und seine Frau bekommen noch eine Tochter, gemeinsam ziehen sie in die Provinz. Akhanli wird Fischer, baut Musikinstrumente. 1991 flieht er mit seiner Familie nach Deutschland. Er wird als politischer Flüchtling anerkannt. 1998 wird er ausgebürgert. 2001 erhält er die deutsche Staatsbürgerschaft.

Als er 2014 in Köln für sein Wirken ausgezeichnet wird, dankt er seiner früheren Ehefrau für ihre Unterstützung: »Dass ich aus der Folterkammer nicht als gebrochener Mensch heraus gekommen bin, verdanke ich Ayses Mut. Nach der Geburt unseres Sohnes hätte ich sofort das Land verlassen sollen. Es war keine Heldentat, mich weiter gegen das Militär zu engagieren; als Vater war es eine dumme, verantwortungslose Haltung.«

Ab 1988 erscheint auf Türkisch die Trilogie »Die verschwundenen Meere«. »Die Richter des jüngsten Gerichts«, 1999 in Istanbul und 2007 auf Deutsch erschienen, bildet den Abschluss dieser Trilogie. Hierin behandelt er den türkischen Völkermord an den Armeniern und dessen bis heute anhaltende Verleugnung in der Türkei. Sein Armenienbuch bringt Akhanli den Hass der türkischen Geschichtsleugner ein. In türkischen Massenmedien wird er fortan als »armenischer Bastard« beschimpft, von offizieller Seite wird sein Buch totgeschwiegen.

Im Sommer 2010 reist Akhanli in die Türkei. Sein Vater ist sterbenskrank. Er möchte ihn noch ein letztes Mal sehen. Er weiß um die Gefahr. Und doch schiebt er diese Ängste beiseite. Noch am Flughafen wird er inhaftiert und für vier Monate festgehalten. In dem Prozess wirft man ihm die Beteiligung an einem 21 Jahre zurückliegenden Raubmord in Istanbul vor. Alle Beteiligten wissen um die Absurdität des Vorwurfes. Die Zeugen sagen eindeutig vor Gericht aus, dass Akhanli unmöglich der Gesuchte sein könne. Akhanli wird schließlich frei gesprochen. Sein Vater ist während des Prozesses verstorben.

Staatsanwalt Celal Kara vermochte die Niederlage nicht zu ertragen. Zwei Jahre später legt er den Prozess erneut auf. Am Tag der Prozesseröffnung haben sich zahlreiche Freunde in Dogans winziger Köln-Ehrenfelder Wohnung versammelt. Dogan wirkt ruhig, behält seinen Humor. Ununterbrochen klingelt sein Handy. Nahezu alle Korrespondenten der großen bundesdeutschen Zeitungen rufen ihn an, bitten um Stellungnahmen. Manche wünschen ihm, so erzählt er danach in kleinster Runde, in ungewöhnlich persönlicher Weise Glück. In einer Erklärung teilt Dogan Akhanli mit, dass er sich wie ein Protagonist aus Kafkas Werk fühle. Er sei nicht mehr bereit, seine Lebenszeit mit dieser nicht enden wollenden Willkür zu vergeuden. Er werde keinen Anwalt mehr zum Prozess schicken. Jetzt, so Akhanli bestimmt, sei er wirklich kein Türke mehr. Das Gericht verurteilt ihn wegen »versuchten Umsturzes der Regierung« und schreibt ihn zur Fahndung aus. Staatsanwalt Celal Kara ist heute selbst auf der Flucht, hat Asyl in Deutschland beantragt.

Vor gut zwei Wochen reiste Dogan mit seiner Freundin nach Spanien. Seine Festnahme vor einer Woche in Granada war ein absoluter Schock. Dies hat er selbst in seinen schlimmsten Albträumen nicht für möglich gehalten. Dass Erdogans Arm bis Spanien reicht, schien ihm schlicht unmöglich. Diese Festnahme wirft viele Fragen auf: Dogan Akhanli war privat mit seiner Freundin im Urlaub. Er muss in Köln observiert worden sein. Er wurde nicht am Flughafen festgenommen, sondern erst vier Tage später in seinem Hotel. Woher wusste Erdogans Justiz von seinem Privataufenthalt? Warum haben deutsche Behörden Akhanli nicht über das türkische Interpolgesuch informiert?

Eine Auslieferung des international angesehenen Menschenrechtlers und Schriftstellers wäre eine Bankrotterklärung Europas.