nd-aktuell.de / 28.08.2017 / Politik / Seite 10

»Christentum, Demokratie, Sozialismus«

Jedermann sei untertan, Teil 3: Zum Verhältnis von Kirche, SED und Moskauer Vorstellungen in der frühen DDR

Karsten Krampitz

Wie auch immer die Haltung der SED-Spitze gegenüber der Kirche gewesen sein mag - die politische Macht in der Sowjetischen Besatzungszone lag bei Stalin. Und was sich heute der Vorstellung entzieht: Ebendieser Stalin genoss nach dem Sieg der Alliierten über Hitlerdeutschland weltweite Anerkennung und Sympathie. Ausgenommen in der SBZ, wo die Sowjetische Militäradministration, kurz: SMAD, erst einmal die völlige Kontrolle des gesellschaftlichen Lebens übernommen hatte.

In dem Teil Europas aber, der von Stalin für seinen Machtbereich nicht beansprucht wurde, außer Westdeutschland, erfreute sich der Generalissimus durchaus einer gewissen Beliebtheit. In Paris wurde 1946 sogar ein öffentlicher Platz und die dazugehörige U-Bahn-Station nach der Schlacht von Stalingrad benannt!

Das neue außenpolitische Kapital wollte Stalin auf keinen Fall verspielen. Und so war der Umgang der SMAD mit den Kirchen vorerst geprägt von außenpolitischer Rücksichtnahme auf den Westen, auf die Partner der Anti-Hitler-Koalition.

Die ersten öffentlichen Institutionen, die wieder zugelassen wurden, waren Theater und Kirchen. Bemerkenswert: Während ein Heinrich George, nach NS-Propagandafilmen wie »Hitlerjunge Quex«, »Jud Süß« und »Kolberg« interniert wurde und am 25. September 1946 an einer Blinddarmentzündung verstarb, blieb die evangelische Pfarrerschaft gänzlich unbehelligt, gleichwohl sie zum überwiegenden Teil all die Jahre am 20. April zum Führergeburtstag für Hitler von der Kanzel gebetet hatte.

Nach dem Willen Stalins stellte die SBZ zunächst ein Modell für das wiedervereinigte Deutschland dar: antifaschistisch geprägt, aber mit Kirchen. Daher erklärt sich auch der Umstand, dass Vertreter der Kirchen ausgerechnet bei den Offizieren der SMAD Hilfe finden konnten gegen antikirchliche Maßnahmen KPD- bzw. SED-verwalteter Behörden.

Zumindest auf kirchenpolitischem Gebiet finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die SMAD in der ersten Nachkriegszeit Versuche unternommen hätte, die Verhältnisse des eigenen Landes auf die SBZ und später die DDR zu übertragen. Ein direktes Abdrängen der Kirche aus dem gesellschaftlichen Leben barg aus sowjetischer Sicht die Gefahr der Entstehung einer Untergrundkirche, mit unabsehbaren Folgen.

Auf der anderen Seite wusste man bei den Protestanten und Katholiken in der SBZ sehr wohl um das Schicksal der russisch-orthodoxen Kirche, die sich 1917 nach der Machtübernahme der Bolschewiki gegen die Kommunisten positioniert, im späteren Bürgerkrieg sogar aufseiten der »Weißen« gestanden hatte.

Das Ergebnis: Die russisch-orthodoxe Kirche wurde Opfer einer bis dato nicht gekannten Verfolgung. Der Patriarch wurde verhaftet, zahlreiche andere Geistliche wurden erschossen, Kirchen und Klöster verwüstet und enteignet - und schließlich drohte sogar noch die Kirchenspaltung! Aus der Furcht heraus, ein ähnliches Schicksal zu erleiden, sahen die evangelischen Landeskirchen der SBZ in ihrer EKD-Mitgliedschaft, also in ihrer gesamtdeutschen Kirchenanbindung, eine wichtige Bedingung für ihre Existenz.

Andererseits soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass die Kirchen in der SBZ damals von den einheimischen Kommunisten und Sozialdemokraten nicht nur Willkür und Ablehnung erfahren haben.

Wohl hatte sich schon die frühe Arbeiterbewegung mit grundsätzlichen Bedenken gegenüber der Kirche getragen. War nicht laut Marx jede Religion nur Aberglaube, »Seufzer der bedrängten Kreatur« und »Opium des Volkes«? August Bebel hatte sogar propagiert, dass sich Christentum und Sozialismus wie Feuer und Wasser gegenüberstünden. Noch dazu war die Kumpanei der »Deutschen Christen« mit dem NS-Regime vielen SED-Mitgliedern, die schon vor dem Krieg der KPD oder der SPD angehört hatten, in guter Erinnerung.

Und dennoch hat es immer auch andere Stimmen gegeben, sogar aufseiten der KPD: Der 1954 aus dem SED-ZK ausgeschlossene und später nur halbherzig rehabilitierte Anton Ackermann (damals sogar Kandidat des Politbüros) hatte auf der »Brüsseler Konferenz« der KPD, die 1935 in Moskau tagte, das Verhältnis der Partei zur Kirche angesprochen: »In unseren Reihen, bei den Partei- und Jugendgenossen, sind oft noch Widerstände und Hemmungen in Bezug auf die Zusammenarbeit (…) zu finden. Als ein Pfarrer am Schluss einer Aussprache mit uns die Frage stellte, was aus ihnen wird, wenn die Kommunisten die Macht haben, antwortete unser Genosse prompt: Wir werden euch aufhängen. Das ist erstens ein schwerer Fehler grundsätzlicher Art, weil wir Kommunisten niemals einen Geistlichen wegen seiner religiösen Betätigung aufknüpfen werden. Das ist zweitens ein schweres Vergehen gegen die Interessen des antifaschistischen Kampfes.«

Und nach 1945? Im sowjetischen Machtgefüge war die SED die einzige regierende Partei, die es mit einer evangelischen Mehrheitskirche zu tun bekam. Doch unabhängig von den kolportierten Ulbricht-Zitaten (»Es muss demokratisch aussehen …«) schien die an breiten Bündnissen orientierte Volksfrontpolitik der Kommunisten nach dem Krieg wenigstens eine Zeit lang ihre Fortsetzung zu finden. Anton Ackermann, der sich nach dem Krieg noch mit der Illusion trug, ein gegenüber der Sowjetunion eigenständiger Weg zum Sozialismus sei möglich, blieb seiner Haltung - zumindest in Worten - treu. Eine Position, die die Kirchen in den antifaschistischen Kampf mit einschloss und Religionsfreiheit als selbstverständlich ansah. So sprach Ackermann am 4. November 1945 auf einer Kundgebung von KPD und SPD über die anstehende Schulreform: »Was nun die religiöse Erziehung der Kinder anbelangt, so sind wir der Meinung, dass dem Elternhaus und den Glaubensgemeinschaften nicht der geringste Zwang angetan werden darf. Eine wirkliche Demokratie schließt als selbstverständliches Recht die Glaubens- und Gewissensfreiheit ein, und ich muss als Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands hier in aller Öffentlichkeit erklären, dass wir diese Freiheit ebenso uneingeschränkt für die Anhänger einer Glaubens- und Religionsgemeinschaft anerkennen, wie wir die volle Freiheit des Gewissens und der Überzeugung für uns selbst fordern.«

Vom selben Geist beseelt, zeigte sich auch ein Johannes R. Becher. Der spätere DDR-Kulturminister sprach von der »Dreieinigkeit«: »Christentum, Demokratie und Sozialismus«. Mit dem Kulturbund wollte Becher jene organisieren, die er so kurz nach Kriegsende für die »Umerziehung« der Deutschen verantwortlich sah: Lehrer, Künstler - und Pfarrer.

Solche moderaten Akzente sind auch für den Zeitraum unmittelbar nach der SED-Gründung zu beobachten. So formulierte im Juli 1946 die Abteilung Kultur und Erziehung beim Zentralsekretariat in einem Schreiben an alle Provinzial- und Bezirksorganisationen der SED drei Grundsätze, von denen sich die Partei im Verhältnis zu den Kirchen leiten lasse:

»1. Nach den Grundsätzen des demokratischen Neuaufbaus ist mit der Meinungsfreiheit auch die religiöse Bekenntnisfreiheit unbedingt gewährleistet.

2. Das religiöse Bekenntnis ist kein Hindernis für den Beitritt zur SED. Im Gegenteil lässt sich das christliche Bekenntnis durchaus mit einer positiven Stellungnahme zum Sozialismus vereinbaren. Die Partei ist in religiösen Dingen tolerant.

3. Auch die Kirchen haben an dem Neuaufbau Deutschlands teil. Ihre positive Mitarbeit ist zu begrüßen.« Es spricht also einiges dafür, dass es in den Anfängen der SED tatsächlich eine andere Gewichtung, bei vielen Genossen ein ehrliches Auf-die-Kirche-zugehen gegeben hat. In den ersten Jahren nach der Gründung beteuerte die Parteiführung noch, dass christlicher Glaube und SED-Mitgliedschaft einander nicht ausschlössen. 1954 gehörten noch 68 Prozent der SED-Mitglieder einer der beiden Kirchen an. In diesen Jahren versuchte der Parteiapparat für die Durchsetzung seiner Ziele noch eine Massenbasis zu gewinnen. Immerhin hatte die KPD 600 000 Mitglieder in die SED eingebracht, wobei nur jeder sechste KPD-Genosse der Partei bereits vor 1932 angehört hatte. Bei der Ost-SPD wird es nicht anders gewesen sein, nur lassen sich die Zahlen heute nicht mehr ermitteln. Mit anderen Worten: Das Gros der Mitgliedschaft von Parteien und Kirche bestand aus Mitläufern der NS-Zeit.

Daher ging es im Staat-Kirche-Konflikt womöglich weniger um den Kampf Ideologie vs. Religion als um einen Elitenkonflikt: Eine zahlenmäßige Minderheit aus Partei und Kirche sollte sich in den kommenden Jahrzehnten einen zähen Kampf liefern um Mitbestimmung bzw. bei der SED um den Führungsanspruch in der Gesellschaft. Aus naheliegenden Gründen hatte die SED dabei die besseren Karten, das heißt schlicht und einfach die besseren Beziehungen zur SMAD. Überhaupt muss für die frühe Nachkriegszeit die SED-Kirchenpolitik immer auch vor dem Hintergrund ihrer Anbindung an die sowjetische Außenpolitik gesehen werden.

Durch den Zusammenschluss mit der Ost-SPD, dessen Charakter hinsichtlich Zwang und Freiwilligkeit hier nicht bewertet werden soll, waren auch etwa zwanzig Pfarrer in die Partei gekommen, die in der Evangelischen Kirche zum eher kleineren Kreis der Religiösen Sozialisten gehörten.

Wie es Manfred Georg Goerner vom Forschungsverbund SED-Staat richtig konstatiert, strebte diese Gruppe eine philosophische Auflösung des traditionellen Gegensatzes von Christentum und Marxismus an. Wenn Goerner nun aber im selben Atemzug meint, die wenigen Religiösen Sozialisten hätten eine »nützliche Funktion« für die Bündnispolitik der SED innegehabt, sprich: wären nützliche Idioten gewesen, die es mit ihrer Kenntnis kirchlicher Interna der SED erst ermöglicht hätten, der Kirche qualifiziert gegenüberzutreten, schwingt dabei der deutliche Vorwurf der Kumpanei mit. So kann nur reden, wer die demokratiefeindliche Geschichte der Evangelischen Kirche in den Jahren 1918 bis 1933 ausblendet.

In der Weimarer Republik waren es die Religiösen Sozialisten, die als kleine Fraktion in vielen Landessynoden die Idee einer proletariatsoffenen Kirchengestaltung am Leben hielten. Dass Gott nun angeblich den Marxisten die Aufgabe gegeben habe, die ursprünglich die Christenheit hätte leisten sollen, so das späte Credo des DDR-Theologen Emil Fuchs - darüber lässt sich bis heute streiten. Außer Frage aber steht die humanistische Ursprungsmotivation dieser, wenn auch zahlenmäßig sehr schwachen Strömung des deutschen Protestantismus.

Mit der Hinwendung der SED von einer linkssozialistischen Massenpartei zur »Partei neuen Typs«, so geschehen ab 1948, und der überhandnehmenden stalinistischen Interpretation des Marxismus und der damit einhergehenden Aushöhlung der im Statut verankerten innerparteilichen Demokratie, spielten Religiöse Sozialisten in der SED schon bald keine Rolle mehr (wie übrigens auch in der Ost-CDU nicht, wenngleich einem Emil Fuchs die Ehrenmitgliedschaft angetragen wurde).

Interessant, aber ohne Antwort bleibt die Frage, warum das Erbe der Religiösen Sozialisten in der späteren »Kirche im Sozialismus« so gar nicht zur Sprache kam. Beiden, dem Evangelischen Kirchenbund in der DDR (1969-1991) wie auch der kleinen Gruppe Religiöser Sozialisten in der SBZ der Nachkriegszeit, war es nicht nur um die Sicherstellung der Existenz und Bewegungsfreiheit ihrer Kirche gegangen - sondern auch um eine theologische Legitimation christlicher Existenz in der ihnen vorgegebenen Gesellschaft. Doch in den bekannten Schriften zur »Kirche im Sozialismus« aus den Siebziger- und Achtzigerjahren werden, ungeachtet aller Analogien, die Religiösen Sozialisten so gut wie nicht erwähnt.

Wenn zum Beispiel der Magdeburger Bischof Werner Krusche am 12. November 1968 bei seinem Antrittsbesuch im Staatssekretariat für Kirchenfragen sein Gegenüber, Hans Seigewasser, mit der Frage irritierte, ob der Atheismus konstitutiv für den Sozialismus sei oder ob er als zeitgeschichtlich bedingt und so lange als notwendig anzusehen sei, als etwa in den Kirchen ein Gott verkündigt werde, der kapitalistische Verhaltensweisen gutheißt, so ging eben diese Frage auf die (auch von Werner Krusche verschwiegenen) Religiösen Sozialisten zurück: Ist mit dem Bekenntnis zum Marxismus als Gesellschaftswissenschaft zwangsläufig auch das Bekenntnis zum Atheismus verbunden? Der Staatssekretär wich damals der Frage aus: Das sei jetzt nicht zu beantworten; es werde entscheidend davon abhängen, wie sich die Kirchen gegenüber dem Sozialismus verhielten.

Zu einem wirklichen Dialog zwischen Marxisten und Christen sollte es in der DDR leider nie kommen. Allein der eine Satz von Marx wäre die Debatte wert gewesen: »Er hat den Leib von der Kette emanzipiert, weil er das Herz in Ketten gelegt« - etliche Theologen hätten dem sicher ohne Zögern zugestimmt, ohne bei »Er« allerdings (wie Marx) an Luther zu denken.