Vom Ich zum Wir

Im Kino: »Zum Abschied Mozart«

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Vor zweieinhalb Jahren gelang einem Dokumentarfilm über ein Musikprojekt mit Jugendlichen etwas, was Dokumentarfilmen über Musikprojekte mit Jugendlichen kaum jemand zugetraut hätte: »Rhythm is it!« tingelte weltweit von Festival zu Festival, räumte diverse Preise ab - und erreichte überdies sogar ein breiteres Publikum. Nun kommt mit »Zum Abschied Mozart« ein weiterer Film in deutsche Kinos, der von der aktiven Begegnung junger Menschen mit klassischer Musik erzählt, nur dass der Schauplatz diesmal nicht Berlin, sondern das Zürcher Oberland ist, dass diesmal nicht Kinder und Jugendliche aus teils prekären sozialen Verhältnissen die Protagonisten sind, sondern bessergestellte Abgänger einer Rudolf-Steiner-Schule, dass diesmal nicht die Berliner Philharmoniker die Instrumentalbegleitung liefern, sondern ein Laienorchester und dass diesmal nicht in einem ehemaligen Industriebau zu Strawinskis »Le sacre du printemps« getanzt, sondern in einer Schulaula Mozarts »Requiem« gesungen wird. Auch wenn dem Werk des Schweizers Christian Labhart der große Erfolg seines Pendants verwehrt bleiben wird, ist »Zum Abschluss Mozart« ein guter Film. Er lebt von seinen sympathischen Akteuren, die nach dem Schulabschluss an der Schwelle zu etwas ihnen Unbekanntem stehen. Er lebt auch von den monumentalen Landschaftsbildern, die so aufzunehmen selbst in der attraktiven Schweiz große Kunst ist. Und natürlich lebt er von Mozart, dessen auf dem Sterbebett komponiertes »Requiem« zu den gewaltigsten, anrührendsten Werken der Musikgeschichte gehört. Labhart begleitet die sechswöchige Probenarbeit des Schulchores mit der Kamera, verfolgt Fortschritte und Rückschläge und nähert sich einzelnen Menschen aus der Gruppe, die sich ein gemeinsames Ziel gesetzt hat. Dies, eine Gemeinschaft von Individualisten zur bedingungslosen Teilhabe an einer übergeordneten Sache zu führen, den schwierigen Schritt vom Ich zum Wir zu bewältigen, bringt der Chorleiter Thomas Gmelin als sein größtes Anliegen zum Ausdruck. Drei Schüler zoomt Labhart in genauen Beobachtungen und Einzelgesprächen so nah heran, dass sie dem Zuschauer im Laufe des Films zu Vertrauten werden: Die dunkelhäutige Wanja Gehr, im Alter von drei Wochen aus Sri Lanka in die Schweiz gekommen, die ihr Leben der Angleichung von Reich und Arm verschrieben hat, ihre Lehranstalt als »Bonzenschule« bezeichnet und von der Revolution träumt, für die sie sogar ihr Leben geben würde. Den eloquenten Stefan Geissmann, der als Abschlussprojekt ein selbst entworfenes Basecap nebst Vermarktungsstrategie vorstellt, ein smarter und cool wirkender Junge, der sich in den Gesprächen aber als sensibel, klug und weltsichtig entpuppt. Schließlich die blonde Rebecca Schmidli, Berufung: Lehrerein, einst von den Mitschülern als »Streberin« abgestempelt, jetzt selbstbewusst und integriert, die eng an das Elternhaus gebunden ist, bei Tische betet und den innigen Wunsch verspürt, mit dreißig eine eigene Familie zu haben. Drei in ihren Weltanschauungen und Lebensentwürfen konträre 18-Jährige, die kaum auf die Idee kommen würden, einen Teil ihrer Freizeit miteinander zu teilen. Dank Chorleiter Gmelin und seinem Mozart-Projekt tun sie es doch - und bringen gemeinsam etwas hervor, auf das sie stolz sein können. Nach der Aufführung des »Requiems« vor hunderten Zuhörern werden die Sänger aus der Schule ins Leben entlassen. Man ist begierig zu erfahren, was aus ihnen wird - und was das musikalische Erlebnis dazu b...

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