Neue Chance für die Belfaster Selbstverwaltung

Nordirland wählt heute sein Regionalparlament

  • Aljoscha Kertesz
  • Lesedauer: 3 Min.
Heute wird in Nordirland ein neues Parlament gewählt. Anschließend haben die Parteien 19 Tage Zeit, eine tragfähige Regierung aus Protestanten und Katholiken zu bilden. Sollte dies nicht gelingen, wird die Region auf unbestimmte Zeit weiterhin direkt aus London verwaltet.
Im Jahr 2002 suspendierte die britische Regierung das nordirische Parlament. Seitdem wird die Unruheregion direkt aus London regiert. In den vergangenen Monaten kam der ins Stocken geratene Friedensprozess aber wieder in Fahrt. Die pro-irische Sinn Féin erkannte erstmals die nordirischen Sicherheitsorgane an, die pro-britische Democratic Unionist Party (DUP) erklärte sich erstmals grundsätzlich zu einer Regierungsbeteiligung mit den Republikanern bereit - zwei bis dahin undenkbare Schritte. London reagierte auf diese positiven Signale aus Belfast und rief Ende Januar Neuwahlen in der ehemaligen Krisenregion aus. Auf den ersten Blick sieht es nach einem ganz normalen Wahlkampf aus, was sich seit Anfang Februar in Belfast, Omagh und Derry abspielt. Plakate mit Konterfeis von Politikern und Parteislogans säumen die Straßen. Kandidaten sprechen in gefüllten Sälen, und die Parteibasis wirbt an Haustüren in der Nahbarschaft um Unterstützung an der Wahlurne. Szenen, wie sie sich auch in London, Birmingham oder Brighton abspielen könnten. Doch irgendwie sind Wahlen in Nordirland anders. Es stehen sich zwei Blöcke gegenüber, deren primäre Ziele nicht unterschiedlicher sein könnten. Während die Unionisten für den Verbleib Nordirlands im Verbund mit dem Vereinigten Königreich werben, treten die Nationalisten für den Zusammenschluss der Provinz mit der Irischen Republik ein. Innerhalb beider Blöcke gibt es jeweils zwei dominierende Parteien, die um die Vorherrschaft kämpfen. Bei den pro-britischen Unionisten ist es neben der DUP die Ulster Unionist Party (UUP). Im klassischen Links-Rechts-Schema stehen beide Parteien mitte-rechts. Die überwältigende Mehrheit ihrer Wähler ist protestantisch. Bei den pro-irischen Nationalisten bewerben sich die Social Democratic Labour Party (SDLP) und Sinn Féin (SF) um die Stimmen der katholischen Bevölkerung. Beide Parteien sind links der Mitte angesiedelt. Sinn Féin strebt ein vereinigtes, sozialistisches Irland an; die SDLP hat hervorragende Kontakte zur britischen Labour Party von Tony Blair. Insgesamt bewerben sich knapp 250 Kandidaten in 18 Wahlkreisen um die 108 Mandate im Belfaster Stormont. Neben den vier großen kämpfen auf beiden Seiten des politischen Spektrums kleinere Parteien und Einzelbewerber. Im Wettbewerb der Großen haben sie nur Chancen auf einzelne Mandate. Im Karfreitagsabkommen von 1998, das dem gegenwärtigen Friedensprozess zu Grunde liegt, ist festgelegt, dass die beiden größten Parteien jeder Bevölkerungsgruppe an der Regierung zu beteiligen sind. Nach der Wahl haben die Parteien 19 Tage Zeit, sich auf eine Regierung zu einigen. In der Vergangenheit scheiterten derartige Bemühungen an der Weigerung der DUP, mit den Sinn-Féin-Vertretern zu verhandeln. Erst die Drohung des britischen Nordirland-Ministers Peter Hain, im Fall des Scheiterns der Koalitionsgespräche die irische Regierung in Dublin an der Verwaltung der Region zu beteiligen, brachte die DUP-Politiker um Hardliner Ian Paisley zum Einlenken. Die nordirische Bevölkerung hat heute eine große Chance, den Friedensprozess fortzusetzen. Am 26. März wird sich zeigen, ob die Politiker dazu fähig sind, alte Wunden zu vergessen, und gemeinsam einen friedlichen Weg für Nordirland zu finden. Sollten sie sich nicht einigen, wird die Region wohl auf unabsehbare Zeit aus London und Dublin regiert werden. Eine neue Chance auf Selbstverwaltung in Belfast wird es dann so schnell nicht wieder geben.
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