nd-aktuell.de / 29.08.2017 / Kultur / Seite 16

Mehr geht (fast) nicht

Bei den Bayreuther Festspielen stand in diesem Jahr wirklich mal die Kunst im Mittelpunkt

Roberto Becker

Diesmal waren die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth genau das, was immer oben drüber steht: Festspiele. Und nicht - wie es ja auch schon in den vergangenen Jahren vorgekommen ist - Knatsch an allen Fronten mit Musik und mäßigen Stimmen. Sie starteten bei ausgesprochenem Mistwetter, gegen das sich (schwedisch) königlicher Glanz neben der Kanzlerin unter den Besuchern behaupten musste. Und am Vorabend mit Festspielchefin Katharina Wagners ersten Worten zum Festakt aus Anlass von Wieland Wagners Hundertstem ging es ausgesprochen familiär zu. So viel Eintracht der verschiedenen Stämme der Wagner-Nachfahren gab es auf dem Grünen Hügel seit Jahrzehnten nicht! Es folgte eine (wie auch in der Ausstellung in der Villa Wahnfried) höchst differenzierte Würdigung Wielands, ohne Beschönigung der Schattenseiten seiner Biografie.

Richtig los ging es mit Barrie Koskys »Meistersinger«-Premiere, samt der strittigen Pointe einer Prügelnacht mit böser Judenkarikatur und in einer referenzverdächtigen Besetzung.

Zum letzten Mal hingegen stand Frank Castorfs von Anfang an bilderstark dialektisch gedachter »Ring« über den Verlust der großen Utopien auf dem Programm. Der frisch pensionierte Volksbühnenchef gab den Meister in der »Werkstatt Bayreuth« und hinterlässt dem Grünen Hügel einen in fünf Jahren grandios gereiften Ring. Mit der alles überstrahlenden Brünnhilde Catherine Foster! Und keinem Ausfall in der Ring-Mannschaft. Nirgends. Wer wie Foster von Anfang an dabei war, und blieb, war am Ende großartig. Wer neu einstieg, der wurde es!

Das gilt auch für die beiden anderen Wiederaufnahmen: Uwe-Eric Laufenbergs »Parsifal« und Katharina Wagners »Tristan und Isolde «. Bei diesen Inszenierungen war es wie immer: Die einen entdecken nur Trash oder biederes Stadttheater. Die anderen finden sie spannend und vielfältig wie an anderen großen Theatern auch. Dass aber die akustischen Exzellenzbedingungen für Wagner-Opern im Festspielhaus von den Dirigenten im verdeckten Graben, den Heldentenören, Baritonen und Bässen, von den hochdramatischen Sopranistinnen oder Mezzogrößen und Altistinnen nicht genutzt oder gar verspielt werden, das lässt sich in diesem Jahr partout nicht belegen. Krise des Wagner-Gesangs? Hier jedenfalls nicht. Im Graben war mit Philippe Jordan, Hartmut Haenchen, Christian Thielemann und Marek Janowski und dem Festspielorchester sowieso Wagner-Spitzenniveau garantiert. Also: jede Menge Gründe für Jubel und Ovationen.

In »Tristan und Isolde« etwa faszinierten Christa Mayer und Iain Paterson als Brangäne und Kurwenal mit Präsenz und Verständlichkeit. Petra Lang hat sich hörbar weiter in die Isolde eingesungen. Stephen Gould ist der äußerst konditionsstarke Tristan. Der neue König Marke René Pape ist eine Klasse für sich. Wie es vorher schon Georg Zeppenfeld war, der aber diesmal als Gurnemanz und Hunding auch einer der meistbeschäftigten (und -gefeierten!) Festspielsänger ist. Pape bringt eine andere Farbe und Persönlichkeit ins Spiel. Besonders reizvoll bleibt, wie Christian Thielemann die Tristan-Musik mit seiner unbestreitbaren Wagner-Kompetenz hörbar macht.

Ein ähnlich gefeierter Coup gelingt auch dem anderen Dresdner am Pult: Hartmut Haenchen mit dem »Parsifal«. Genau im »richtigen«, zügigen, aber nicht zu schnellem Zeitmaß, doch ohne sich zu verlieren. Haenchen füllt den Raum und atmet mit den Sängern. Zeppenfelds Gurnemanz liefert Textverständlichkeit fürs Lehrbuch! Der neue Parsifal Andreas Schager geht beim Ruf »Amfortas! Die Wunde!« bis kurz vor die Grenze, hinter der Gesang in Lärm kippen würde. Schager ist jetzt da angekommen, wo er hingehört: auf dem Grünen Hügel und im Gral. Parsifal ist in seiner Power-Kehle noch besser aufgehoben als in der von Klaus Florian Vogt, der in diesem Jahr einen exzellenten Walther von Stolzing gab.

Kurz und gut: Auf dem Grünen Hügel ist nicht nur die erneuerte Fassade des Festspielhauses zu bejubeln, sondern ein Jahrgang, wie man ihn dort lange nicht in solcher Qualität und Eintracht erleben durfte. Bravo!