nd-aktuell.de / 29.08.2017 / Politik / Seite 10

Auf Mission für die Gesundheit

Die kolumbianische Organisation Misión Salud kämpft gegen Missstände und für bezahlbare Medikamente

Knut Henkel

«Fundación Botero» (Stiftung Botero) steht auf den dunkelgelben Kacheln am Eingang des Altenheims. «Dieses Anwesen gehörte früher einmal dem berühmten kolumbianischen Maler Fernando Botero, heute ist es ein Altenheim nahe der Stadt Zipaquirá», erklärt María Consuelo Ramírez. Die Pharmazeutin leitet die Medikamentenbank der Nichtregierungsorganisation Misión Salud und besucht hin und wieder das staatliche Altenheim, das von einer kirchlichen Organisation gemanagt wird. «Wir liefern Medikamente im großen Stil hierher, denn die Gesundheitsetats sind kaum in der Lage, den Bedarf zu decken», erklärt sie. Das Altenheim gehört zu den 104 Institutionen, die von Misión Salud mit ausrangierten Medikamenten beliefert werden.

«Wir sammeln die Präparate bei derzeit 16 Herstellern ein, wenn sie von den Apotheken ein halbes Jahr vor dem Ablaufdatum zurückgesandt werden», erklärt Consuelo Ramírez. Dann werden sie im Depot von Misión Salud, das sich nördlich von Bogotá auf dem Weg nach Zipaquirá befindet, sortiert und an Einrichtungen wie das Altersheim von Zipaquirá weitergeleitet. «Das ist auf die Medikamente angewiesen», so Pflegeleiterin María Nazareth. «Wir bekommen über das staatliche Gesundheitssystem nicht ausreichend Medikamente für unsere Patienten.» Die stammen meist aus Bogotá, sind verarmt, oft ohne Familie, und einige haben auf der Straße gelebt, waren drogen- und auch medikamentenabhängig. Da ist der Bedarf deutlich höher.«

Altenheime wie jenes in Zipaquirá werden genauso wie indigene Gemeinden und abgelegene Dörfer mit Medikamenten, Verbandsmaterial und anderen Hilfsmitteln versorgt. »Es hängt davon ab, was bei uns im Depot, der Medikamentenbank, vorhanden ist und ob es auch Mediziner gibt, die vor Ort präsent sind - Medikamente allein reichen nicht«, so Andrea Carolina Reyes Rojas, die Vizedirektorin von Misión Salud. Deswegen sind Gesundheitsbrigaden für die kleine Nichtregierungsorganisation, deren Hauptquartier sich in einem schicken Apartmenthaus im Norden Bogotás befindet, im Chocó aber auch in Cesar und anderen Verwaltungsbezirken Kolumbiens im Einsatz. »Rund 30 000 Menschen haben wir 2015 erreicht, vielleicht waren es im vergangenen Jahr ein paar mehr«, erklärt die Pharmazeutin.

Das übergeordnete Ziel der 2002 gegründeten Nichtregierungsorganisation sei eine bessere Gesundheitsversorgung in Kolumbien, so Germán Holguín. Er leitet die Organisation, die sich in den vergangenen Jahren Respekt verschafft hat, weil sie auf Defizite in der Gesundheitsversorgung hingewiesen hat. Sie hat auf ein besonderes Problem aufmerksam gemacht: die hohen Kosten der Medikamente. »Das Preisverhältnis zwischen dem Generika (Nachahmerprodukt), und dem Originalpräparat lautet 1:5«, sagt Holguín. Sein Buch mit dem Titel »Der Krieg gegen die Generika« widmet sich diesem Problem. Holguín fordert unter anderem eine Verkürzung des Patentschutzes, um früher den Weg für die weit billigeren Generika frei zu machen.

Bei Krebspräparaten sei das Verhältnis oft noch ein Vielfaches von 1:5. Diese hohen Preise für Krebspräparate überfordern den Etat des Gesundheitssystems. Holguín fordert deshalb national wie international Preissenkungen der patentierten Originalpräparate für Länder wie Kolumbien und noch deutlichere für ärmere Länder wie Honduras. Das wird bei großen Konzernen wie Novartis, Bayer oder Pfizer nicht gern gehört. Die verweisen nur zu gern auf hohe Forschungskosten und den nach zwanzig Jahren auslaufenden Patentschutz. Den hält Holguín jedoch für überholt, weil Forschungserfolge oft querfinanziert sind, längst nicht immer aus den Labors der großen Player stammen, und weil Länder wie Kolumbien nicht wissen, wie sie das Geld für die Importe von Medikamenten aufbringen sollen. »Da geht es oft um die Investition ins Trinkwassersystem oder den Import von Anti-Krebspräparaten«, sagt Holguín und zieht die Stirn in Falten.

Ein paar Achtungserfolge hat Misión Salud im Verbund mit anderen Organisationen und dem durchaus engagierten Gesundheitsministerium zwar schon errungen. »Aber wenn es hart auf hart geht, bleibt nur das Schiedsgerich, und das ist ein Risiko«, sagt Holguín. Bei dem Krebspräparat Kaletra gelang es, eine Preissenkung um 85 Prozent durchzusetzen, doch beim Blockbuster Glivec des Schweizer Novartis-Konzerns ruderte Kolumbiens Gesundheitsminister schließlich zurück. Auf ein Schiedsgerichtsurteil wollte er beziehungsweise die kolumbianische Regierung sich nicht einlassen, obwohl das Präparat gegen Blutkrebs laut einer kolumbianischen Kommission nicht als ausreichend innovativ gilt. Als der Basler Konzern jedoch mit dem Schiedsgericht drohte und auf die internationalen Handelsabkommen verwies, knickte die kolumbianische Seite ein. Für das Direktorium von Misión Salud nicht ganz nachvollziehbar. Sie hätten es gern gesehen, wenn die Regierung in Bogotá hart geblieben wäre.

Das ist nun vom Tisch, und mit dem Auslaufen des Patents 2018 wird es dann billiger für die kolumbianischen Gesundheitsverantwortlichen. Holguín dauert das zwar zu lange, aber immerhin arbeitet die von ihm gegründete Misón Salud bei der Übernahme von Präparaten, deren Ablaufdatum beinahe erreicht ist, gut mit den Herstellern zusammen. Die liefern aus, was sich nicht mehr verkaufen lässt, und darunter sind auch teure Krebspräparate. Die sind im Altenheim von Zipaquirá allerdings kaum gefragt. »Hier haben wir es mit Demenz, mit typischen Alterskrankheiten zu tun. Da werden oft Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungstabletten benötigt«, erklärt Heimleiterin María Imelda Moreno. Sie gehört zum Leitungsgremium von Misión Salud.