»Die machen unsere Region kaputt«

Die Airbus-Krise erschüttert Niedersachsen

  • Ulf Buschmann, Varel/Nordenham
  • Lesedauer: 6 Min.
Während in Frankreich gestern Airbus-Mitarbeiter gegen die Sparpläne protestierten, haben die Belegschaften in den beiden niedersächsischen Airbus-Werken Varel und Nordenham inzwischen wieder die Arbeit aufgenommen. Mit den Verkaufsplänen wollen sie sich nicht abfinden.
In der vergangenen Woche muss es hier ungleich belebter gewesen sein. Davon zeugen jetzt aber nur noch zwei Fässer mit Asche. Am Maschendrahtzaun prangen noch Transparente: »Wir wehren uns« und »Wir streiten für unsere Zukunft« ist da zu lesen. An den Parolen vorbei streben die Mitarbeiter zu ihren Arbeitsplätzen - in dem von Verkauf und Schließung bedrohten Airbus-Werk in Varel scheint so etwas wie Alltag eingekehrt zu sein.
Doch niemand hat sich mit dem Vorhaben des Managements abgefunden, sich vom Vareler Werk zu trennen beziehungsweise für Nordenham einen »Risikopartner« zu suchen. »Bei uns macht sich langsam Galgenhumor breit«, bringt Jürgen Bruns, Betriebsratsvorsitzender des Werkes in Varel, die Stimmung auf den Punkt. Zwar arbeiten die Kolleginnen und Kollegen wieder. Doch ein Streik dürfte weder in Varel noch in den anderen Werken gänzlich ausgeschlossen sein.

Unverständnis gegenüber Chefetage
Die Bereitschaft, für die Arbeitsplätze zu kämpfen, ist, der Stimmung in Varel nach zu urteilen, eher gewachsen. Dafür haben die Verantwortlichen in der Chefetage wohl selbst gesorgt. Spätestens seit Freitag vergangener Woche hat sich das Unverständnis endgültig durchgesetzt. »Uns hat noch keiner das Problem geschildert«, sagt Betriebsratschef Bruns. Soll heißen: Warum die Manager ausgerechnet das Werk in Varel verkaufen möchten, konnten sie selbst nicht sagen. »Die Menschen sind natürlich noch verunsicherter als vorher«, fasst Bruns die Gemütslage seiner Kollegen zusammen.
Derweil versuchen die Arbeitnehmervertreter noch immer Antworten auf das Strategieprogramm »Power 8« der Mannen um EADS-und Airbus-Chef Louis Gallois zu finden. Wie berichtet, stehen rund 4300 Jobs beim europäischen Flugzeugbauer Airbus zur Disposition, davon 3700 in Deutschland. In Varel fürchten 1300 Menschen um ihre Jobs. Dies war denn auch am Montag bei einer Sitzung des Betriebsrates sowie der Vertrauensleute Thema. Deshalb mussten die anwesenden Fernsehteams am Montag etwas länger auf Betriebsratschef Bruns warten.
Er kommt mit einigen seiner Kollegen zum Tor 1. Ins Werk hinein dürfen Medienvertreter nicht. Äußerlich machen die Mitarbeiter einen gelassenen Eindruck, aber innerlich kochen sie. »Ich fühle mich schlichtweg verarscht«, meint ein Maschinenschlosser, der seit 17 Jahren bei Airbus arbeitet. Ein junger Mann, der gerade seine Diplomarbeit in Sachen Flugzeugbau schreibt, findet das alles »ziemlich bedrückend«. Aber die Entwicklung habe sich ja bereits vor einem Jahr angebahnt.
Betriebsratschef Bruns feiert 2007 sein 25-jähriges Betriebsjubiläum. »Ich hätte mir vor einem Jahr nicht träumen lassen, dass es unter diesen Umständen geschieht.« Dabei haben er und die meisten seiner Kollegen im Landkreis Friesland mehr als einmal um ihre Arbeitsplätze gebangt. Ein langjähriger Mitarbeiter rechnet vor: »Ich kann mich spontan an sechs Eigner erinnern.«
Bei dem Zerspanungstechniker und den anderen Flugzeugbauern sorgte zuletzt der Ex-Daimler-Benz-Chef Jürgen Schrempp für Aufregung. In seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der Konzerntochter Deutsche Aerospace AG (DASA) hatte Schrempp dem Unternehmen Anfang der 90er Jahre ein radikales Sparprogramm verordnet: 16 000 Arbeitsplätze sollten wegfallen und zehn DASA-Werke verkauft werden, darunter Varel - dies brachte die Menschen auf die Barrikaden.

Flugzeugbauer in Generationenfolge
Widerstand gegen die Management-Pläne der heutigen Konzernmutter EADS leisteten die Flugzeugbauer auch Ende vergangener Woche, und das ist kein Wunder. Die Stadt mit rund 25 000 Einwohnern, die größte im Landkreis Friesland, ist abhängig von Airbus beziehungsweise den Arbeitsplätzen dort. Generationen fanden nach der Schule via Flugzeugbau den Einstieg in die Arbeitswelt. Nicht selten waren die Eltern im Werk gewesen, die in der Ausbildungsabteilung ein gutes Wort für den Nachwuchs einlegten. Da verwundert es nicht, dass die Menschen in Varel quer durch alle Bevölkerungsschichten eine Art große Koalition gebildet haben. Wer sie auf EADS- und Airbus-Chef Gallois anspricht, erntet böse Blicke. »Kommen Sie mir nicht mit dem. Der macht mit seinem komischen Papier unsere Region kaputt«, schimpft eine Dame, während sie ihre Lebensmittel am Supermarkt ins Auto packt.
Die Stadt am Zipfel des Jadebusens leidet mit den Flugzeugbauern. Und dies umso mehr, weil Friesland gemeinhin als »strukturschwach« gilt: Die Arbeitslosenquote hält sich seit Jahren bei rund zwölf Prozent, und allzu viele Job-Alternativen haben die Flugzeugbauer nicht. Dies liegt paradoxerweise an ihrem hohen Spezialisierungsgrad, der ihnen bei Airbus den Einstieg erleichtert hat.
Wer in der Branche weiterarbeiten möchte, müsste entweder nach Bremen, nach Nordenham oder zur Deutschland-Zentrale nach Hamburg wechseln. Auch dort gibt es Airbus-Werke. Bescheidene Möglichkeiten bestehen bei »Aircraft Services Lemwerder«. Auch dieser Standort gehörte zu Beginn der 90er Jahre zu jenen, die von der DASA aufgegeben werden sollten. Gerhard Schröder, damals Ministerpräsident in Niedersachsen, half mit, das Werk an ein Investoren-Duo zu verkaufen - bis es im vergangenen Jahr vom Airbus-Mutterkonzern EADS zurückerworben wurde. Außerhalb des Flugzeugbaus sind die Alternativen eher bescheiden. Es gibt zwar noch Werke eines Keks- sowie eines Kartonherstellers. Doch das ist es dann auch gewesen. Selbst der Tourismus im Nordseebad Dangast wäre keine Alternative. »Friesland hat zwar was, doch es liegt eben auch sehr weit ab vom Schuss«, weiß ein Wirtschaftsförderer.
Wie es den Menschen aktuell geht, interessiert ein Team des französischen Fernsehens. Die Kollegin, die aus Berlin angereist ist, möchte von Betriebsratschef Bruns wissen, ob die Menschen Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes oder dem Namen Airbus hätten. Letzteres spiele sicherlich eine Rolle, entgegnet Bruns im Interview. Vor allem aber sei es die Angst davor, die Arbeit zu verlieren.

Keine Lust mehr auf Interviews
Derweil ist bei den Flugzeugbauern Schichtwechsel. Bruns' Kollegen versuchen, die anwesenden Journalisten zu ignorieren. »Wir sind in der vergangenen Woche so häufig gefragt worden, dass wir jetzt einfach keine Lust mehr haben zu antworten«, sagt einer der Airbus-Mitarbeiter im Vorbeigehen.
Ähnlich ist es 20 Kilometer entfernt im ebenso von der Schließung bedrohten Airbus-Werk Nordenham. Die Mitarbeiter gehen erst einmal ihrer Arbeit nach. Allzu viel ausrichten könne man jetzt eh nicht. »Wir warten ab«, lässt sich einer ein kurzes Statement entlocken.
Auch in der Wesermarsch ist die Arbeitslosigkeit mit Quoten um 10 bis 15 Prozent hoch. Und es gibt eher weniger Arbeitsalternativen als in Varel. Vor diesem Hintergrund zeigen die Menschen in der Region Flagge: Wo im vergangenen Sommer während der Fußball-Weltmeisterschaft noch Schwarz-Rot-Gold flatterte, weht jetzt vielfach das Emblem der IG Metall im norddeutschen Wind.
Zwei Standorte
In den niedersächsischen Airbus-Werken Varel und Nordenham sind rund 3600 Menschen beschäftigt. Varel ist der Schwerpunkt für die spanabhebende Produktion von Flugzeugteilen und die Herstellung von Fertigungs- und Montagevorrichtungen. So entstehen hier Strukturbauteile aus Aluminium, Titan und Stahl für alle Airbus-Programme und für militärische Produkte. Allein für den Superjet A 380 werden in Varel über 4000 Bauteile hergestellt. Zweiter Schwerpunkt ist die Entwicklung und Herstellung von Vorrichtungen für alle Fertigungsverfahren des Flugzeugbaus. So sind wesentliche Teile der A 380-Strukturmontage und der Endlinie des Hamburger Werkes in Varel projektiert worden.Das Werk im Nordenhamer Stadtteil Einswarden ist der zentrale Montagestandort für die Rumpfschalen aller Airbus-Muster. Jeden Monat verlassen rund 300 Rumpfschalen von bis zu 10 x 4 Metern Größe das Werk. Nordenham gehört angesichts der weitgehend automatisierten Produktion zu den weltweit führenden Standorten im Flugzeugbau. UB
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