nd-aktuell.de / 06.09.2017 / Kommentare / Seite 4

Finnland macht’s vor

Lisa Paus plädiert für ein Bedingungsloses Grundeinkommen - trotz der Skepsis unter Linken in Deutschland

Lisa Paus

In Finnland bekommen seit Jahresanfang rund 2000 Arbeitslose ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Konkret heißt das: 560 Euro monatlich - steuerfrei für 24 Monate. Es ersetzt das Arbeitslosengeld, Krankengeld und das Elterngeld. 560 Euro ist im nordeuropäischen Hochpreisland sehr wenig. Aber im Gegensatz zu den traditionellen Sozialleistungen erlaubt das Bedingungslose Grundeinkommen den Menschen, zusätzlich zu arbeiten, sich eine Auszeit zu nehmen, sich auf die Familie zu konzentrieren oder einen beruflichen Neustart zu versuchen. Außerdem befreit es die Menschen von lästigen Behördengängen.

Ist das nun Fortschritt oder Abbau des Sozialstaates? Für mich ist klar, dass dieser Betrag nicht ausreichen kann, dass Existenzminimum abzudecken und dass es zusätzliche Sozialleistungen nach Bedarf geben muss. Nichtsdestotrotz scheinen die ersten Ergebnisse des finnischen Modells zu zeigen, dass die Menschen sich mit dem Grundeinkommen sicherer und hoffnungsvoller fühlen. Und dass die Arbeitsneigung nicht nachlässt.

Kein Zweifel, der Grund für das wieder erstarkte Interesse am Bedingungslosen Grundeinkommen ist vor allem die digitale Revolution. Studien gehen davon aus, dass ganze Berufsfelder überflüssig werden. So soll das autonome Fahren Lkw-, Bus- und Taxifahrer ersetzen. Das sind potenziell Millionen neue Arbeitssuchende. Denn auch wenn neue Jobs durch die Digitalisierung entstehen: Zumindest übergangsweise würde es eine Art »unverschuldete Sockelarbeitslosigkeit« geben.

Dazu kommt, dass durch die Digitalisierung immer schwieriger zu bestimmen ist, wo die Wertschöpfung eigentlich stattfindet. In einer komplett vernetzten Welt, in der wir den Zugriff auf das Wissen und die Ideen vieler anderer haben, ist das Endprodukt meist eine Gemeinschaftsleistung. Wohl auch deshalb plädieren inzwischen auffallend viele Konzernchefs aus der Internetbranche für ein Grundeinkommen.

Das nährt allerdings verständlicherweise das Misstrauen. Auch in der Parteienlandschaft schwirren verschiedenste Begriffe herum - Grundeinkommen, Grundsicherung, Bürgergeld - mit teilweise gegenteiligen Wirkungen. In letzter Zeit scheint gerade unter Linken die Zweifel am Grundeinkommen zuzunehmen. Verständlich, denn es hängt komplett vom Modell ab.

Für mich als Grüne ist klar: Es darf beim Grundeinkommen nicht um einen Abbau des Sozialstaates gehen. Beim Thema Arbeit geht es nicht nur um Produktivität, sondern auch um die Würde des Menschen. Arbeit ist auch Teilhabe. Aber das kann auch gesellschaftliche Arbeit sein - Pflege und Erziehung von Familienangehörigen oder ehrenamtliches Engagement in der Zivilgesellschaft. Es ist ein sehr einnehmender Aspekt des Grundeinkommens, dass Menschen, die das bis jetzt meist unentgeltlich leisten, unterstützt würden.

Die Grünen haben in den Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein ein »Laboratorium« für ein Grundeinkommen hineinverhandelt. Ich bin gespannt, wie der Vorschlag für den Modellversuch aussehen wird. Die FDP möchte lieber ein Bürgergeld, dass an Arbeitstätigkeit gekoppelt ist. Dann wäre es in der Tat nur ein Zuschuss für Geringverdiener und ein Abbau des Sozialstaates. Der befreiende Aspekt des Grundeinkommens für die gesellschaftliche Arbeit würde wegfallen.

2007 scheiterte auf dem Grünen-Parteitag nur knapp ein Modellvorschlag aus Baden-Württemberg. In einem dreistufigen Model sollten schrittweise alle sozialen Leistungen reformiert und zu einer solidarischen Grundsicherung ausgebaut werden. Zusätzlich blieb der Anspruch auf andere soziale Leistungen bestehen. Das würde die Verwaltung erheblich entlasten, denn nur bei zusätzlichen Leistungen müsste geprüft werden. Generell soll dieses Grundeinkommen ohne Bedingung ausgezahlt werden - es stände allen Bürger*innen als individueller Rechtsanspruch zu.

Aber wir warten nicht, bis das Bedingungslose Grundeinkommen alle politischen Hürden genommen hat. In unserem Wahlprogramm für die kommende Bundestagswahl haben wir die Aufhebung der Hartz-IV-Sanktionen, eine nicht bedürftigkeitsgeprüfte Garantierente von 930 Euro und eine Kindergrundsicherung von mindestens 300 Euro pro Kind und Monat festgeschrieben. Das ist der Einstieg in ein Bedingungsloses Grundeinkommen.

Über die Wahl wird viel gesprochen - das allein ändert noch nicht die Verhältnisse. Wir schlagen im Wahlkampf eine Schneise in die Schwafelei. Lesen Sie mit auf unserer Spezialseite zur Bundestagswahl 2017[1]

Links:

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