Coole Kugel schieben

Marit Nienaber aus dem ostfriesischen Sandhatten ist Deutsche Murmelmeisterin

  • Lesedauer: 4 Min.

Der römische Kaiser Augustus soll stets Murmeln bei sich getragen haben. Horaz notiert jedenfalls, dieser »Friedenskaiser« sei damit mitunter spontan in ein Match eingestiegen, wenn er murmelnde Kinder auf der Straße antraf.

Das habe ich ja noch gar nicht gewusst! (lacht)

Ob es wirklich stimmt, weiß man natürlich nicht. Doch es könnte ein Zeichen dafür sein, dass frühere Menschen einen eher natürlichen Zugang zum Spiel hatten als die Leute heute?

Wir hätten ja als Erwachsene auch übers Murmeln gegrinst, wenn das als Sport angesprochen worden wäre. Allerdings nicht mehr, nachdem wir uns intensiv mit dem Thema beschäftigt und rausgekriegt hatten, dass es längst sogar Meisterschaften im Murmeln gab.

Wie reagieren Leute, wenn Sie denen von Ihrem Freizeitsport erzählen?

Zuerst kommt oft die Frage: »Du meinst wirklich das Murmeln?« Mitunter wird noch der ungläubige Nachtrag angehängt: »Mit diesen kleinen Kugeln, ernsthaft?«

Es ist ja zuerst auch tatsächlich kaum zu glauben. Sie haben indes sogar längst einen Klub gegründet, den SV Murmel 011, als eingetragenen Verein. Wie kam es dazu?

Aus einer sehr launigen Situation heraus, und zwar so: Regelmäßig fliegen wir mit Verwandten und Freunden in den türkischen Badeort Side in den Urlaub. Auch 2011 waren wir damals als Gruppe da, und zwar acht Frauen und ein Mann. Auf Außenstehende wirkten wir wohl wie eine Damenauswahl plus Coach im Trainingslager, und deswegen wurden wir oft gefragt, was wohl unsere Disziplin sei. Bis da einer von den anderen Gästen etwas lästernd meinte, wir seien bestimmt »der SV Murmel«. Das nun fanden wir ausgesprochen witzig und beschlossen zu checken, ob Murmeln tatsächlich auch als Sport ausgetragen werden kann. Im Internet recherchierten wir gleich mal die Regeln, und erste Partien probten wir bereits am nächsten Tag am Strand. Auf der Heimreise war der »SV Murmel« beschlossene Sache.

Seitdem murmelt, um einen bekannten Filmtitel abzuwandeln, täglich bei Ihnen das Murmeltier.

Genau so ist es, und das macht wahnsinnigen Spaß!

Aber immer nur Kugeln in ein Loch zu kullern - ist das nicht ein bisschen wenig?

Das dürfen Sie nicht unterschätzen! Schon der Einwurf verlangt Geschick. Der Schwung muss stimmen. Einerseits soll die Kugel im Idealfall direkt in die Mulde, die sich im hinteren Bereich der drei mal sechs Meter langen Bahn befindet. Andererseits müssen Sie unbedingt vermeiden, dass die Murmel sofort im Aus landet. Denn dies würde den direkten Verlust des Spiels bedeutet.

Demnach versuchen Sie das Unmögliche zu schaffen: mit Schmackes einwerfen und doch irgendwie gebremst, quasi in Slow Motion.

Genau das ist der Punkt. Und auch das anschließende Bewegen der Kugeln folgt strengen Regeln. In Deutschland pflegen wir das Kuhlemurmeln, das die so genannte »Schusser«-Technik vorsieht. Bei der dürfen Sie die Kugeln nicht schnippen, sondern bloß aus dem Handgelenk stoßen. Der angewinkelte Zeigefinger verleiht der Murmel dabei mit seiner Außenseite den jeweils nötigen Drall. Also irgendwie vergleichbar mit dem Außenrist bei Fußballern.

Welche Körperhaltung empfiehlt sich da im Wettkampf?

Da kultivieren die Aktiven gern ihren eigenen Stil. Die meisten gehen in die Hocke oder auf die Knie. Wird es ganz kompliziert, legen sich Spezialisten auch hin, um faktisch auf Augenhöhe mit der Kugel zu sein. Andere tun auch total lässig, mit einer Hand in der Hosentasche.

Hand in der Hosentasche? Zünftiger Sport sieht anders aus.

Murmeln ist eben primär ein Denksport.

Ein Denksport? Gewissermaßen Schach zum Kullern?

Strategie und Taktik prägen das Spiel tatsächlich stark. Nehmen wir eine Standardsituation: Sie sind dran mit Einwurf, doch im Gegenzug droht die Konkurrenz unweigerlich einzulochen, etliche Kugeln lauern in der Nähe der Zielkuhle. Da müssen Sie sich eben entscheiden: die Aufstellung schlicht stören, durch einen geschickt platzierten Wurf, oder besser »dittschen«, also eine ausgewählte Murmel clever touchieren?

Was ist besser?

Wenn Sie gut sind, die zweite Variante. Glückt sie richtig, werden für Sie sogar zwei Kugeln als eingelocht gewertet, und der Sieg rückt näher.

Einlochen per Anrempeln, auch Dittschen genannt, wer tüftelt solche Finessen aus?

Für das Regelwerk zuständig ist der Deutsche Murmelrat. Das sind die Vorsitzenden aller Murmelklubs, die einmal im Jahr tagen.

Der Murmelrat! Wird dort vorzugsweise gemurmelt - oder kann es auch mal laut werden?!

Was denken Sie denn! Hitzige Diskussionen sind nicht selten! (lacht)

Murmeln in Deutschland: murmelclub.com/html/murmelvereine.html

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