Verführer und Verführte

»Grafik und Übermalungen« von Dieter Goltzsche in der Klostergalerie Zehdenick

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Kentaur mit schwarzem Pferdekopf zieht unter der Mondsichel vorüber, aufrecht, die schwarze Fahne geschultert. Kreuzchen umflirren die unbeschuhten Füße. »Der Verführer« heißt, was diese aquarellierte Lithografie abbildet. Wohin will dieses so komische wie merkwürdige Mischwesen gehen? Irrt es dem Morgenlicht entgegen, zu blenden die Peiniger? Oder marschiert es einzig um seiner selbst willen? Der Phantasie sind alle Tore geöffnet.

Mit dem »Verführer« auf Plakat und Postkarte lädt die Klostergalerie Zehdenick an der Havel zur Ausstellung mit Werken des Berliner Malers und Grafikers Dieter Goltzsche ein. Um die 30 kleinformatige Arbeiten aus verschiedenen Perioden hängen in der wunderbar wiederhergerichteten Klosterscheune, gelegen unweit vom Fluss. Parterre lädt der Saal zum Rundgang ein. Die Treppe hoch, erreicht der Betrachter die Empore mit für die Hängung gleichfalls geeigneten Wänden und Leuchtkörpern. Wo der Verführer ist, ist der Verführte nicht weit.

Goltzsches Bilderwelt will natürlich nicht verführen im wörtlichen Sinn, also die Augen zu irgendwelchen Teufeln und Giften hinlenken oder, einem Glauben gehorchend, bloß in heile, die Seele besänftigende Gefilde führen. Er will mit dem, was er zeigt, die Phantasie entzünden, auch die Neugier wecken, was hinter den Blättern womöglich sich verbirgt. Der Anblick soll einmal auf Anhieb gelingen, also im Erfassen des Bildes sofort die Sinne »verführen«, zum anderen soll der Betrachter, nirgendwo hingelenkt und von nichts abgelenkt, verweilen.

Menschen, Objekte, Landschaften in unendlichen Spiegelungen und Variationen auf Blatt und Leinwand zu bringen, davon ist der Künstler nie abgerückt. Staunen macht, wie er diese Bereiche detailreich ausformt, sie einfasst und miteinander vermischt. Goltzsches Punkte, Linien, Objekte sprechen nicht nur, sie singen und tanzen - mit und ohne Maul und Instrument. Strukturiert er Figuren, sonderbare zumal, spektakeln dieselben oft genug vor Folien der Wanderbühne oder des Jahrmarkts oder einsam unter Gewölk. Goltzsche zaubert sodann wie der Dompteur aus Tieren schlaue Wesen, aus bodenständigen Menschen Artisten, aus nichtigen Anlässen große - und umgekehrt. Komisch, virtuos, klug, für das Auge höchst anregend, klar und leicht dies alles.

An die 20 Algrafien hängen in Zehdenick, kleine Formate. Die Algrafie oder, älter, »Alugraphie«, existiert seit weit über 100 Jahren. Bei dem Verfahren steht für den Druck eine Platte aus Aluminium zur Verfügung, während die Lithografie Steinplatten verwendet. Goltzsche fertigt Algrafien seit den 70er Jahren.

Vielerlei Tiermotive hat der Künstler im Lauf der Jahrzehnte zeichnerisch ausgesponnen. In Zehdenick springt die »Gelbe Katze«, Tempera über Siebdruck (2004), einen regelrecht an. Die steht da wie ein freches Dirndl und schaut drein, obwohl sie keine Augen hat. Um den Kopf trägt sie schwarze Ringeln. Schwarz auch das Gitterwerk hinter ihr, wodurch das giftige Gelb dieses schlau, witzig anmutenden Subjekts doppelt auffällt. So Bestimmtes wie Unbestimmtes ordnet kunstvoll auch »Lob der Faulheit«, Algrafie von 1990. Der Angler gönnt sich Ruhe im rundlichen Äppelkahn, gehalten von zwei Angelruten. Schilf umrankt gitterförmig das Zentrum. Ruht der Angler nur oder ist es ein Toter?

Die Algrafie »Diese hellen Gestalten« (1982) zeigt die Umrisse einer Promenade. Zwei Laternen rahmen sie. Wind geht und Regen. Im Bild teils gebückt, teils aufrecht fünf Gestalten. Die tragen bis auf die Große mit Regenschirm alle schwarz. Objekte schweben frei, die krumme Leiter etwa. Der Buchstabe E, um ein Vielfaches größer als in Druckschrift, hängt auf Halbneune. Unheimlich dunkel wirken diese »hellen Gestalten«. Sehr anschaulich auch die Algrafie »Birne, Apfel« (1995). Die Früchte, von Malern unzählig oft als Stillleben festgehalten, sind bei Goltzsche hohl, fleischlos. Lediglich weiße Kreise zeichnen ihre Kontur. Der Witz: Ein Narr schlägt mittendrin seine Kapriolen. An seiner Kappe flattern wie wild schwarze Schleifen. Was sucht der dort?

Bittere Töne schlägt die Algrafie »Liegender Akt« (1978) an. Die gebettete Schöne ist, genauer besehen, eine Tote in der Blüte ihrer Jahre. Trauert jemand um sie? Ein Strichwesen von Mensch hockt gesenkten Hauptes vor dem Bette, und das kleine, schwarzgerahmte Bild im Bilde mit dem schwarzen Fleck drin bekräftigt den Vorgang. Anders »Die Lagernde« frei nach Camille Corot, Aquarell (1996). Der Pinsel überschreibt hier launig Gesicht und Körper der wohlgebetteten schönen Dame, bei der man nicht weiß, ob sie heiter dreinschaut oder mürrisch.

Ganz stark die drei kontrapunktierenden Lithografien, entstanden Mitte der 1980er Jahre. Sie exponieren die Schau in der Klosterscheune. »Mit den Diagonalen« ist eine in ihrer rigiden Schwärze vollkommen autonome Arbeit. »Der Abend, auch Abendlied« presst die schlanke schwarze Dame (oder den Mann) derart fest an den linken Bildrand, dass man vermeint, sie warte beim Schach darauf, mattgesetzt zu werden. »Stundenvertauschung« schließlich imaginiert das Profil eines Mannes, dem vom Kopf ein kleiner schwarzer Punkt zu fallen scheint. Eine Träne?

»Goltzsche - Graphik und Übermalungen«, nur noch bis zum 17. September in der Klostergalerie, Am Kloster, 16792 Zehdenick

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