nd-aktuell.de / 16.09.2017 / Politik / Seite 16

Vom »Kick«, wie Indianer zu sein

Bayerischer Jagdverband beklagt Zunahme der Wilderei im Freistaat

Elke Richter, München

Die Stimme von Thomas Schreder bebt vor Fassungslosigkeit und Empörung. Erst vor wenigen Stunden hat das Präsidiumsmitglied des Bayerischen Jagdverbands ein Foto auf den Tisch bekommen: Ein weitgehend verwestes Reh, nur ein paar Knochen und Fellreste sind noch übrig. Direkt daneben: ein armlanger Pfeil. Es ist ein weiterer Fall von Wilderei, die im vergangenen Jahr im Freistaat deutlich zugenommen hat. Und es ist ein weiterer Fall von Wilderei, bei denen der Schütze das getötete Tier einfach im Wald liegen lässt - mit Ausnahme des Kopfes.

Gleich mehrere solcher Fälle gab es in der jüngeren Vergangenheit, viele davon in der Region München. »Diese Art der Wilderei, wo man nicht das wertvolle Wildbret mitnimmt, sondern sich nur auf eine Trophäe kapriziert, hat mit weidgerechter Jagd nichts zu tun«, betont Schreder. »Wir bemerken zunehmend auch völlig abstruse Ideen, wie Menschen mit dem Wild umgehen.« So war ein mutmaßlicher Wilderer, der im Landkreis Freising in eine Fotofalle tappte, mit einem fellartigen Umhang in Tarnfarben und einer Sturmmaske maskiert. In seiner Hand trug er eine gespannte Armbrust - wie Pfeil und Bogen ein lautloses und zunehmend beliebtes Tötungsmittel. Moderne Geräte erlegen selbst größere Tiere wie Rehe problemlos.

Auch Thomas Schelshorn, Jäger im Landkreis München, kann von Wilderei berichten: »Wir haben fünf Schlingen auf Wildwechseln gefunden.« Eine davon war bereits abgezwickt, also wahrscheinlich schon geleert worden. »Das ist eine ganz abartige Jagd der Wilderei, weil das Tier, das sich darin verfängt, unglaublich lange leidet.«

Die lange Leidenszeit ist eine der Hauptgründe, warum den Jägern die Wilderei ein Dorn im Auge ist. »Für Jäger ist es ganz wichtig, dass das Stück möglichst auf der Stelle verendet«, schildert Schelshorn. »Wenn man es nicht sofort tödlich erwischt hat, ist es wichtig, dass es möglichst viel Schweiß, also Blut, verliert, damit die Nachsuche leichter wird.« Die Jäger folgen dann der Fährte des angeschossenen Tieres, um es endgültig zur Strecke zu bringen. »Für Wilderer ist es hingegen einfach nur wichtig, dass sie nicht erwischt werden.« Sie lassen die verletzten Tiere in aller Regel entkommen, die dann teils erst Wochen später elend verenden.

Zudem verwenden Wilderer meist Waffen, die nicht gesetzeskonform sind; die kleinen Kaliber reichen oft nicht aus, um die Tiere sofort zu töten. Solche Waffen waren früher auch ohne Waffenschein zu haben und existieren aufgrund einer Besitzstandsregelung noch immer in vielen Haushalten. Noch dazu wurden in der Zwischenzeit Schalldämpfer erlaubt, wodurch es für die Täter noch unwahrscheinlicher wird, gehört und erwischt zu werden.

209 Fälle von Wilderei sind der bayerischen Polizei im vergangenen Jahr bekanntgeworden, wozu juristisch allerdings auch nachstellende Hunde oder das Mitnehmen überfahrener Tiere zählen. In den Vorjahren waren es dennoch mit 150 bis 180 Fällen deutlich weniger, wie aus der Kriminalitätsstatistik hervorgeht. Die Aufklärungsquote lag jeweils bei rund 30 Prozent. Allerdings spiegeln die Zahlen eines nicht wider: die hohe Dunkelziffer. Da kein Jäger wissen kann, wie viele Tiere genau in seinem Revier leben oder es auf ihren Streifzügen durchqueren, fällt Wilderei nur selten auf - zumal, wenn der Täter seine Beute in Gänze einpackt und mitnimmt.

Über die Motive können die Fachleute nur spekulieren. »Es könnte Menschen geben, die gerne Wildbret essen und es sich, weil es draußen frei herumspringt, selbst holen«, spekuliert Jagdverbandssprecher Schreder. Außerdem: »Für gut geschossenes, hochwertiges Wildbret kann man gute Preise erzielen.« So bringt ein Reh etwa 100 Euro, ein aufgebrochener Hirsch mit seinen rund 100 Kilogramm gar 400 bis 600 Euro - auf dem legalen Markt. Die Schwarzmarktpreise dürften etwa bei der Hälfte bis zwei Dritteln liegen, noch immer ein hübsches Zubrot.

Das zweite Motiv von Wilderern ist offensichtlich das Sammeln von Trophäen. So fehlte nicht nur dem mit Pfeil und Bogen erlegten Reh, sondern auch drei Wildschweinen im Ebersberger Forst ausschließlich der Kopf - das Fleisch ließen die Schützen verrotten.

Hauptmotiv scheint aber etwas anderes zu sein: »Das ist der Kick, auf ein lebendes Wesen zu schießen«, schildert Ludwig Waldinger vom Bayerischen Landeskriminalamt. Auch Schreder spricht von dem »Kick, den manche Leute verspüren, wenn sie draußen wie damals die Indianer oder wer auch immer dem Wild nachstellen, es aufspüren und dann auch schießen können«. Nicht nur diesem Typus Wilderer möchte kaum ein Jäger allein im Wald begegnen. dpa/nd