nd-aktuell.de / 18.09.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 2

Vergebliche Suche nach dem »Clean Diesel«

Auch bei den neuesten Modellen sind die Emissionswerte zu hoch

Jörg Staude

Die derzeitige Gretchenfrage für Diesel-Fahrer lautet: Welches Modell trotzt drohenden Fahrverboten? Selbst wer ein Dieselauto hat oder sich eines zulegen will, das die neueste, seit September gültige Euro-6-Norm erfüllt, ist da noch nicht auf der sicheren Seite. Da muss die »6« schon noch durch ein zusätzliches »d« geschmückt werden. Nur Diesel mit der Euro-6d-Norm in der Typzulassung halten nämlich im realen Betrieb die Stickoxidgrenzwerte so ein, dass keine Fahrverbote drohen.

Was könnte zwei Jahre nach Bekanntwerden des Abgasskandals eine bessere Bühne für solche »Clean Diesel« sein als die laufende Automesse IAA in Frankfurt? Viele Hersteller nutzten die Produktschau für ein zusätzliches Zeichen, um die »modernsten Euro-6-Fahrzeuge« auf die Straße zu bringen, wie der Chef des Automobilverbandes VDA, Matthias Wissmann, zur Eröffnung lobte. Nur: In den Messehallen selbst gleicht die Suche nach den »modernsten« Dieseln der nach einer Nadel im Heuhaufen. Einen Euro-6d-Diesel soll weder Daimler noch BMW oder auch VW dort ausgestellt haben.

Die neuen Abgasnormen für Pkw sind seit Anfang September in Kraft. Um die Euro-Norm 6c zu bekommen, müssen die Fahrzeuge nur den gegenüber bisherigen Verfahren etwas realistischeren WLTP-Test auf dem Prüfstand bestehen. Bei 6d kommt noch eine Messung nach dem »Real- Drive-Emission«-Verfahren (RDE) hinzu. Dabei wird das Abgas-Verhalten des Autos auf der Straße getestet und die Stickoxidemissionen dürfen den Grenzwert auf dem Prüfstand höchstens um den Faktor 2,1 übersteigen. 6d-Diesel dürfen demnach auf dem Prüfstand nicht mehr als 80 und auf der Straße entsprechend nicht mehr als 168 Milligramm Stickoxide pro Kilometer ausstoßen. Von einem wirklichen »Clean Diesel« ist man offensichtlich auch bei der bisher schärfsten Norm noch ein ganzes Stück entfernt.

Jens Hilgenberg, Verkehrsexperte des Umweltverbandes BUND, wurde trotz intensiver Suche und Nachfragens in den IAA-Hallen nicht 6d-fündig. Die Politik lobe zwar verstärkt Diesel mit neuester Abgasreinigungstechnik, doch diese »gibt es auf der diesjährigen IAA offensichtlich nicht«, bilanziert er. Selbst die neuesten Modelle wurden nicht nach den neuen, realistischeren Messmethoden getestet. Damit blieben die Hersteller auch zwei Jahre nach Beginn des Dieselskandals eine belastbare Aussage über die realen Stickoxidemissionen im Betrieb schuldig, kritisiert der Experte. »Käufer der fabrikneuen Fahrzeuge laufen noch immer Gefahr, zukünftig von Fahrverboten betroffen zu sein.«

Für Hilgenberg hat sich seit 2015 gar nichts grundlegend geändert. Kunden, die sich darauf verlassen, dass neue Diesel sauber sind, würden weiterhin betrogen. »Und Politiker, die die Mär vom sauberen Diesel verbreiten, machen sich zu Erfüllungsgehilfen der Autolobby«, ärgert er sich.

Das Interesse der Branche, erst einmal ihre absehbar künftigen Ladenhüter loszuwerden, scheint groß zu sein. Derzeit stehen in Europa laut einer Studie von Transport & Environment 20 Pkw-Modelle mit Elektromotor zum Verkauf - aber rund 420 mit Verbrennungsmotor. E-Autos würden bei Vertrieb und Werbung systematisch hinten angestellt, kritisiert der Verkehrsclubdachverband. Nur etwa zwei Prozent ihres Marketingbudgets setzten die Autobauer ein, um in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Norwegen sogenannte Null-Emissions-Fahrzeuge, vor allem E-Autos, zu bewerben. Entsprechend deutlich würden die Hersteller ihre eigenen Absatzziele verfehlen: Statt den Anteil von E-Fahrzeugen an den verkauften Pkw auf 3,6 Prozent zu erhöhen, betrug die Quote 2016 nur 1,7 Prozent.

Lange wird diese Strategie aber nicht mehr verfangen. Besonders zum Einbau in kleinere Autos wird der Diesel immer unattraktiver. So verkündete die tschechische VW-Marke Skoda während der IAA, ab 2018 das Modell Fabia nicht mehr mit Diesel-Motorisierung anzubieten. Dies gelte für die ganze Modellreihe und weltweit. Skoda begründet das Aus mit den steigenden Kosten der Abgasbehandlung. Nach Angaben aus der Branche wie auch von Forschern bedeutet eine grenzwertkonforme Abgasbehandlung einen Mehraufwand von 1000 bis 1500 Euro pro Auto. Das rechnet sich für ein Auto wie den Skoda Fabia, der neu ab 12 150 Euro zu haben ist, nicht mehr - und Preiserhöhungen in dieser Dimension sind am Markt nicht durchsetzbar. Wozu die Autokonzerne mit ihren Rabattschlachten selbst beigetragen haben.

Das absehbare Aus für den Diesel in Kleinwagen hatten Umweltschützer kurz nach Bekanntwerden des Abgasskandals vorausgesagt: Wenn bei den Emissionsangaben endlich die Wahrheit einziehe, stehe der Dieselmotor zumindest in der Polo-Klasse, also den Klein- und Kompaktwagen, vor dem Fade-out, hatte Dietmar Oeliger vom Naturschutzbund damals prophezeit. Der Aufwand werde sich dann nur noch für Pkw der Mittel- und der Oberklasse lohnen.

Vor allem für Riesen-SUV, möchte man heute ergänzen. Über die Protz-Diesel stolpern die IAA-Besucher jedenfalls auf Schritt und Tritt.

Chronologie zu zwei Jahren »Dieselgate«

18. September 2015: Das US-Umweltamt EPA teilt mit, Volkswagen habe eine Software eingesetzt, um Abgaswerte von Dieselautos zu fälschen.


25. September: Der VW-Aufsichtsrat beruft nach dem Rücktritt von Martin Winterkorn Porsche-Chef Matthias Müller zum Konzernchef.

8. Oktober: Razzia bei VW. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig lässt Büros in Wolfsburg und anderswo durchsuchen.

15. Oktober: Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet einen Pflichtrückruf aller VW-Dieselautos mit Betrugssoftware an. In ganz Europa sollen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,5 Millionen Wagen in die Werkstatt.

22. April 2016: Der Abgasskandal brockt dem Volkswagen-Konzern für 2015 mit 1,6 Milliarden Euro den größten Verlust in der Firmengeschichte ein.

25. Oktober: Beim US-Rechtsstreit um VW-Diesel mit 2,0-Liter-Motoren stimmt ein Zivilrichter einem Kompromiss zu, demzufolge Kunden, Behörden, Händler und US-Bundesstaaten mit mehr als 16 Milliarden Dollar entschädigt werden sollen.

8. Dezember: Die EU-Kommission sieht massive Mängel bei der Aufarbeitung des Skandals und geht wegen mutmaßlicher Verletzung europäischen Rechts gegen Deutschland und andere vor.

11. Januar 2017: VW und das US-Justizministerium verständigen sich in einem Vergleich im Strafrechtsverfahren auf die Zahlung von 4,3 Milliarden Dollar.

17. Mai: Im Rechtsstreit um 3,0-Liter-Diesel billigt ein Zivilrichter einen Vergleich über die Zahlung von mehr als 1,2 Milliarden Dollar an Kunden. Der Software-Lieferant Bosch soll 327,5 Millionen Dollar zahlen.

31. Mai: Es wird bekannt, dass auch die VW-Tochter Audi in Europa unzulässige Abgas-Software verwendet hat.

10. Juli: Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft nimmt wegen möglichen Abgasbetrugs Mitarbeiter von Porsche ins Visier.

27. Juli: Wegen illegaler Software verhängt Verkehrsminister Alexander Dobrindt ein Zulassungsverbot für den Porsche Cayenne mit 3,0-Liter-TDI-Motor.

2. August: In Deutschland soll es branchenweit ein Software-Update für 5,3 Millionen Dieselautos geben. Besitzer älterer Wagen sollen mit Prämien zum Kauf neuer Modelle bewegt werden.

25. August: In den USA wird ein langjähriger VW-Ingenieur im Zusammenhang mit dem Skandal in Detroit zu einer Gefängnisstrafe von 40 Monaten und einer Geldbuße von 200 000 Dollar verurteilt. dpa/nd