nd-aktuell.de / 21.09.2017 / Politik / Seite 5

Einzigartiges Geschenk für Konzerne

Pia Eberhardt über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada

Haidy Damm

Pia Eberhardt von der lobbykritischen Organisation Corporate Europe Observatory gehört zu den profiliertesten KritikerInnen der aktuellen Freihandelsabkommen. Haidy Damm sprach mit der Politikwissenschaftlerin über die Gefahren in CETA und die Möglichkeiten, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada noch zu stoppen.

Am 21. September tritt das Freihandelsabkommen CETA vorläufig in Kraft. Was bedeutet das konkret?
CETA wird vollständig nur in Kraft treten, wenn alle Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert haben - davon sind wir weit entfernt. Heute treten bereits weite Teile in Kraft, beispielsweise die Kapitel zum Zollabbau für Güter, Dienstleistungen und öffentliche Auftragsvergabe sowie die regulatorische Kooperation. Konkret möglich sind steigende Importe von Rind- oder Schweinefleisch aus Kanada. Das ist ein Aspekt, vor dem die bäuerlichen Betriebe hierzulande Angst haben, weil in Kanada die Produktionskosten niedriger sind. Das könnte den Preiskampf verschärfen.

Auch das von Ihnen kritisierte Kapitel zur regulatorischen Kooperation gilt vorläufig. Welche Konsequenzen hat das?
Dieses Kapitel wird vor allem langfristig wirken, indem es Regulierungsvorhaben verzögert oder erschwert, weil es mehr Einspruchsmöglichkeiten für die kanadische Regierung und Unternehmensverbände gibt. Das Problem ist, viele der Effekte werden schwer nachvollziehbar sein. Da geht es um Druck auf Entscheidungsträger hinter verschlossenen Türen, den wir im Zweifelsfall nie mitbekommen oder nachweisen können werden. Es wird wichtig sein, ein Auge drauf zu haben, wie mit diesem Kapitel gearbeitet wird.

Das heißt auch, mehr Augen auf Lobbyisten zu werfen?
Genau. Und offen zu sein für Hinweise von Abgeordneten oder Menschen in Behörden, die mit Hilfe von CETA unter Druck gesetzt werden. Wir sind darauf angewiesen, dass sie diesen Druck publik machen.

Ausgenommen bleibt das Kapitel zum Investorenschutz. Hier wurde zum Schluss nachgebessert, Sie haben auch die Änderungen stark kritisiert. Warum?
Der Investorenschutz in CETA ist eines der gefährlichsten Kapitel dieses Abkommens und in Teilen gefährlicher als ähnliche Kapitel in anderen Abkommen. Zum Beispiel werden Klagen im Finanzbereich auf der Basis von CETA viel leichter sein als bei NAFTA, dem Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko. CETA schützt als erster Vertrag weltweit explizit legitime Interessen von Investoren, das ist ein einzigartiges Geschenk für Konzerne. Kanada und die EU-Kommission haben kurz vor der Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten und das Europaparlament mit sehr irreführenden Zusatzerklärungen versucht, von diesen Gefahren abzulenken ohne die Substanz zu verändern. Es ist bitter, dass diese PR-Offensive in einigen Teilen der Öffentlichkeit und bei einigen politischen Parteien so verfangen hat.

Belgien hat sich wegen des Investorenschutzes an den Europäischen Gerichtshof gewandt. Wie sehen Sie die Chancen?
Es gibt JuristInnen, die es nicht für unwahrscheinlich halten, dass der EuGH entscheiden wird, dass der Investorenschutz in CETA nicht im Einklang mit dem EU-Recht steht. So könnte das Gericht argumentieren, dass für die Auslegung von europäischem Recht allein europäische Gerichte zuständig sind und nicht irgendein internationales Schiedsgericht. Aber es gibt natürlich auch JuristInnen, die das anders sehen. Allein die Nachfrage beim EuGH könnte den Ratifizierungsprozess aber schon in die Länge ziehen, weil manche Parlamente vielleicht keinen Vertrag ratifizieren wollen, bei dem es ernsthafte Bedenken gibt, ob er überhaupt legal ist.

Was passiert denn, wenn CETA in einem EU-Land tatsächlich nicht ratifiziert wird?
Wenn ein Land Nein sagt, ist die Ratifizierung gescheitert und der Vertrag wird nicht rechtskräftig. Es gibt auch das Szenario, dass CETA nie vollständig ratifiziert wird, weil der Vertrag aufgrund des Risikos einer »Nein«-Abstimmung einem nationalen Parlament erst gar nicht vorgelegt wird. Das würde bedeuten, dass CETA zwar in weiten Teilen in Kraft ist, aber der Investitionsschutz und damit die Konzernklagerechte nie Realität werden. Auch das wäre ein Sieg für den Widerstand.

CETA war im Bundestagswahlkampf kein wichtiges Thema. Ist dem Widerstand die Puste ausgegangen?
Das würde ich nicht sagen. Sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern gibt es weiter zahlreiche aktive Bündnisse und Einzelorganisationen, die gegen die CETA-Ratifizierung kämpfen. Ich selbst war in der vergangenen Woche auf einer Veranstaltung des Frankfurter Bündnisses gegen TTIP und CETA, bei der Bundestagskandidaten zu ihrer Haltung gefragt wurden. Der Raum war mit 120 Leuten voll gepackt. Ich gehe davon aus, dass die Aktivitäten in Deutschland zunehmen werden, wenn die Ratifizierung näher rückt. Dann wird ganz klar der Bundesrat im Fokus stehen, denn wenn Linkspartei und Grüne Wort halten, hat CETA im Bundesrat keine Mehrheit.

Und im Bundestag?
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es dort ein Nein geben wird.

Dennoch, der CETA-Aktionstag im September war auf den Wahlkampf ausgerichtet. Es haben sich zwar viele Basisorganisationen beteiligt, aber die Aktionen blieben regional und klein - woran liegt das?
Klar ist, die Gewerkschaften machen im Wesentlichen einen Rentenwahlkampf und gehen nicht auf Konfrontation zur SPD. Auch andere mobilisierungsstarke Organisationen haben im Wahlkampf andere Schwerpunkte gesetzt. Der Effekt ist, dass viele eher kleinere und regionale Bündnisse zwar aktiv sind, aber nicht diese starke Sichtbarkeit erreichen.

Die Bewegung hat also eine Verschnaufpause gemacht?
Sie steht an einem anderen Punkt. Ich hoffe, dass die Bewegung für einen gerechten Welthandel in die Fußstapfen der Anti-Atombewegung tritt, bei der klar ist, das Thema ist nicht immer auf der ersten Seite der Zeitungen, aber es gibt eine aktive, gut vernetzte europaweite Bewegung. Ich sehe da gute Chancen auf starke und wahrnehmbare Auseinandersetzungen. Denn ohne ein Scheitern von CETA wird es kaum Platz für eine andere Handelspolitik geben.