nd-aktuell.de / 22.09.2017 / Kultur / Seite 12

Innehalten

Der große Bildhauer und Grafiker Hans Scheib im Kunsthaus der Achim-Freyer-Stiftung in Berlin

Marion Pietrzok

Ausstellungsrundgang im Kunsthaus der Achim Freyer Stiftung. Momente einer wunderbaren Inszenierung. Wie schön und sinnvoll alles präsentiert ist, wie sich die Plastiken aus Holz und Bronze und die Grafiken Hans Scheibs, die hier pars pro toto für ein reiches Schaffen stehen, in die Bedingungen der nicht allzu üppig Platz gebenden Räume fügen, wie sie sich in ihm zu kostbaren Augen-Blicken entfalten. So die einladende, sich selbst behauptende Figur kurz nach dem Entree, das quasi programmatisch (»Look at Yourself«) ein Affe gibt, der dem Besucher einen großen runden Spiegel entgegenhält: »Die Künstlerin«. Nackt, weißhäutig, rot das Haar, der Mund, die Scham. Wasserblauer Blick, der schwer zu deuten ist. Wovon hat die Schöne geträumt? Wohin geht die Reise? Kälte kann die Würde nicht besiegen. Das Angeschautwerden ist der Preis, den das Künstlerdasein zu entrichten hat.

Eingeladen hat hier die mattweiß bemalte lebensgroße Holzplastik den Betrachter, seine Neugier, der schon Ehrfurcht beigemischt ist, zunächst auf ein Terrain der frohen und doch mit Ernst hingezauberten Leichtigkeit zu lenken: Voller Anmut in der Bewegung und mit sanfter Freundlichkeit im Ausdruck kleinere Bronzen, zur Gruppe arrangiert: »Die Möwe. Für Jürgen Gosch«, eine in grandiosem Schwung des grazilen Körpers und der ausgebreiteten Arme mitreißende, weibliche Figur, die auf den ersten Blick eine Variante der »Tänzerin« Georg Kolbes sein könnte, aber viel, viel zarter, seelisch berührter erscheinend. Neben einem verspielten kleinen Mammut das entzückende »Elefantenmädchen«, und ob stiller »Ephebe« oder bedächtiger »Schuhschnabel«, ob »Pegasus« oder noch einige andere Bronzen aus den Jahren seit 2013, sie halten bis hin zu selbst kleinsten Details Beglückung des Anblicks bereit. Und wie von selbst erzählen sie ihre Geschichten.

Hans Scheibs Plastiken haben es in sich. Sicher stehen sie in einer großartigen kunstgeschichtlichen Tradition, von der Antike her über Gotik, Expressionismus bis hin zu Glanzstücken im 20. Jahrhundert. Doch wie der Bildhauer mit diesen Vor-Bildern, überhaupt mit bildnerischen Grundgesetzen umgeht, das hat eine Klasse für sich, spricht eine besondere, ganz und gar eigene Sprache.

In der Ausarbeitung der menschlichen Figur spielt er oft mit der Schlankheit, mit Längungen, derart, dass sie eine Art Sich-selbst-Tragen ergeben. Quasi originelle Modellfälle für die Überlebensübung: ein wenig die Luft anhalten, und schon ist man der Schwerkraft enthoben. »Mann mit Stock« ist solch ein Langbeiner, in Bronze. Formaler Anklang an Giacometti. Ähnlichen Bezug zeigen Jo Jastram, der an der Ostsee lebte, oder der Thüringer Volkmar Kühn. Matisse sei noch erwähnt. Vielleicht hat Hans Scheib ja tatsächlich bewusst dessen »Serpentine« abgewandelt. In die Hüfte gestützt, einschließlich der Geste, den Finger nachdenklich bzw. erstaunt zum Gesicht zu führen, hat sie sich hier allerdings zwei neue Nacktheiten angezogen: Links und rechts eines Türrahmens steht sie, verdoppelt, schrundiges Holz, grelle Bemalung, schon als eine, d.h. zwei, ganz andere (»Betrachtung I und II«).

Geradezu zierlich dagegen »Die Jahreszeiten«, vier menschliche Figuren, relativ geschlossene Körper, die in ihrer fein differenzierenden Bemalung und ihrer - teils scherzhaften - Gestik formale Delikatesse und inhaltlichen Witz vereinen. Typisch Scheib eben.

Ganz in Gegensatz zu Glätte und Plumpheit so mancher Gegenwartsskulptur: Scheib vermag auch mit massiger Wucht auszusprechen, was zu sagen ist, und im temporären Zuhause bei Achim Freyer knallt die grob behauene Holzplastik »Der Rote« nicht weniger als der auf hoher Stele sitzende Affe in Rot mit schwarzem Hammer im Anschlag (»Paint it Black«) alles heraus, was an Unbehagen, Angst und Verworrenheit so zu haben ist.

Viel Stoff zum Sehen, zum Fühlen, zum Begreifen.

Plötzlich ein Innehalten: Zwei Pferdeköpfe aus Bronze. Wie beiläufig abgelegt auf der Präsentationsfläche, die sich aus den hüfthohen Grafikschränken im Ausstellungsraum ergibt. Wie kann es sein, dass hier lediglich die Köpfe, ohne Ohren, ohne Hals, ohne Körper, ohne die Beine und Hufe, geformt wurden, wo es doch um eine stolze, energievolle Kreatur geht, die als Abbild oft genug symbolisch für das Sein, das Schicksal des Menschen steht? Hans Scheib, in dessen Tierplastik gerade auch das Pferd in vielfacher Form Thementräger ist, hat die Bronzeköpfe so gestaltet, dass in ihnen alles materialisiert zu sein scheint, was sich an menschlichen Erfahrungen über ein langes Leben hinweg einstellt. Trauer und Leiden mehr als Glück und Hoffnung. Sie sind stille Behauptung des Daseins. Ergreifend.

Die Kaltnadelradierungen und die Farbholzschnitte, in die sich zu vertiefen die aktuelle Ausstellung ermöglicht, stehen im Wortsinne auf einem anderen Blatt, die Ausstellungsbesprechung muss sie aussparen. Signalisiert sei: Die grafische Kunst Hans Scheibs ist exzellent. Hohe Schule des Sehens.

Die Werke des Künstlers, Jahrgang 1949, Studium in Dresden, ab 1976 viele Vergeblichkeiten in Ostberlin, dann ab 1985 in Westberlin Behauptungskampf, sind in großen Sammlungen und Museen Deutschlands und international präsent. Einem der bedeutendsten figürlich arbeitenden Holz- und Bronzebildhauer und Virtuosen der Grafik bei Achim Freyer zu begegnen, ist doppeltes Geschenk. Denn der Gastgeber, ohne Attitüde bescheiden, verschmitzt, im Namen das Y mit dem I gern tauschend, ist ein Unikat des Subversiven, er ist ein einzigartiger Vermittler der Kraft, die bildende Kunst auszuströmen im Stande ist. Immerhin schon Jahrgang 1934, Bühnenbildner, Kostümbildner, geradezu legendär, Maler, Regisseur, Kunstsammler und Museumsstifter mit über 2000 von ihm gesammelten Werken, die er in seinem Wohn- und Atelierhaus seit 2012 Besuchern zugänglich macht und in dem er wechselnde Ausstellungen präsentiert. Es sind immer Arbeiten, die »sagen, was gesagt werden muss«, wie es im Werbeflyer für den Freundeskreis der Stiftung heißt. Kurz: Toller Gastgeber, tolles Haus (es gibt sonntägliche Führungen). Mit Hans Scheib: Tollhaus!

Hans Scheib. Rundum. Kunsthaus der Achim Freyer Stiftung, Kadettenweg 53, 12205 Berlin. Bis 22.10, Di-Fr 11-15 Uhr, So 15-18 Uhr. www.achimfreyer.com[1]. In der Laufzeit der Ausstellung jeweils sonntags um 12 Uhr Matinee zu sechs verschiedenen Inszenierungen von Mozarts »Zauberflöte« von Achim Freyer: 17.9. Hamburgische Staatsoper, 1982, 24.9. Salzburger Festspiele, 1997, 1.10., Schwetzinger Festspiele 2002, 8.10. Nationaltheater Mannheim, 2005, 15.10. Nowaja Opera, Moskau, 2006, 22.10. Opera Narodowa Warschau, 2006

Links:

  1. http://www.achimfreyer.com/