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Von Loki und Smoky und den anderen

Wie die Familien der Kanzler Politik mitbestimmten - oder eben auch nicht. Von Karlen Vesper

  • Lesedauer: 5 Min.

Es war eine Begegnung der besonderen Art. Er bedankte sich brav bei mir, blickte indes etwas irritiert, da sein Mitarbeiter ihm nicht flüsterte, wer ich bin. Und ich ihm auch nicht. Ich verdiente den Dank nicht. Habe ihn nicht gewählt. Auch nicht für ihn geträllert, geklampft, getanzt. War eigentlich nicht geladen, sondern von der Redaktion losgejagt worden. Weil niemand die dpa-Vorschau genau gelesen hatte. Nicht für Text-, sondern nur für Fotojournalisten war das Treffen im einstigen DDR-Staatsratsgebäude zwischen Gerhard Schröder, dem frisch gekürten Kanzler, und ostdeutschen Künstlern, die seinen Wahlkampf unterstützt hatten, anberaumt. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob Doris Schröder-Köpf dabei war, die vierte Lebensabschnittsgefährtin des siebten bundesdeutschen Regierungschefs. Man schrieb 1998.

Zweifellos bestimmt das Privatleben der Politiker auch ihre Politik. Die Binsenweisheit »Das Private ist politisch« en detail zu untersuchen, haben sich Jochen Arntz, Chefredakteur der »Berliner Zeitung«, und sein Zunftkollege Holger Schmale vorgenommen. Sie haben manch unbekannte oder auch vergessene Begebenheit ausgebuddelt und unterhaltsam zu einem Buch geschnürt.

Es dürfte niemanden überraschen, dass der katholische Rheinländer Konrad Adenauer, Vater von acht Kindern, ein Patriarch war. Bereits bei seiner Wahl zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland 1949 verwitwet, übernahm die jüngste Tochter Libet oft die protokollarischen Pflichten einer Kanzlergattin. Sein 1964, im geburtenstärksten Jahr in Nachkriegsdeutschland, ins Amt gelangter Nachfolger Ludwig Erhard hatte nur eine Tochter. Die Frau an seiner Seite, Luise, war studierte Volkswirtin, hatte nichts gemein mit der ihr vom Boulevard zugeschriebenen Kinder-Küche-Kirche-Devise, drängelte sich aber nicht ins Rampenlicht, während die Frau des Altnazis Kurt Georg Kiesinger nach eigenem Bekunden »almodisch« war.

Frischer Wind zog ins Kanzleramt mit Willy Brandt, der mit Rut drei Söhne (Peter, Matthias, Lars) und aus erster Ehe im norwegischen Exil Tochter Ninja hatte, aber ein schwieriger Familienmensch war, viele Verehrerinnen kannte. Mit den Brandts zog das erste politische Powerpaar in den Bonner Kanzlerbungalow am Kiefernweg Nr. 12 ein. Für Rut, gebürtige Norwegerin, »ein Arbeitermädchen aus Hamar«, wie sie sich selbst vorstellte, war es eine tiefe Befriedigung, als ihr ebenso im Arbeitermilieu aufgewachsener und von den Nazis aus seiner Heimat vertriebener Willy Kanzler wurde. Zumal er zuvor eine beispiellose Hetzkampagne als - getreu NS-Jargon - »Vaterlandsverräter« hatte erleiden müssen. Bei der Wahl 1972 erzielte die SPD das beste Ergebnis aller Zeiten, Signal einer gewandelten Atmosphäre. Aber Rut selbst musste mitunter ihre rebellierenden, radikalen Söhne vor dem Gatten verteidigen: »Willy, hast du deine eigene Jugend vergessen?«

In der Ära Brandt flammte die Debatte über die im Grundgesetz formal garantierte, jedoch nicht existente Gleichberechtigung von Mann und Frau auf. Eine Reform des Ehe- und Scheidungsrechts wurde in die Wege geleitet, die jedoch weit hinter den Standards in der DDR zurückblieb. Loki Schmidt setzte sich dann für klassische sozialdemokratische Ziele wie Zugang von Mädchen und Frauen zu Bildung und Ausbildung sowie gleicher Lohn für gleiche Arbeit ein. Mit ihrem Helmut lebte sie eine moderne Partnerschaft vor. Und obwohl er nur acht Jahre Kanzler war, haben die beiden »die Deutschen und ihr Denken über Jahrzehnte beeinflusst und bewegt wie wohl kein anderes Paar«, schreiben Arntz/Schmale. Die Schmidts genossen Kultstatus. Legendär auch »Loki und Smoky« in den »Mitternachtsspitzen« des WDR.

Seine politische Orientierung verdankte Helmut Schmidt eigentlich Loki. Als der Sohn eines Lehrerehepaar die von ihm angebetete Mitschülerin in der winzigen Hamburger Hinterhauswohnung ihrer Familie besuchte, sei er erstmals mit Armut konfrontiert worden: »Ich war entsetzt und dachte, das ist ungerecht.« Solche Ungerechtigkeit wollt er später überwinden. Später wird dem ehemaligen Wehrmachtsoffizier Tochter Susanne dann aber auch ungenügende Auseinandersetzung mit der NS-Zeit vorwerfen.

Einen familiären Gegenentwurf zu den munteren, 65 Jahre einander aushaltenden Schmidts lieferten die Kohls: Vater arbeitet, Mutter kümmert sich um Kinder und Haushalt. Dabei verfügte Hannelore Kohl nach Aussage der Söhn Walter und Peter über einen »guten Instinkt« und »war eine ganz wichtige Ratgeberin unseres Vaters«, dem das Ratsuchen indes zunehmend abhanden kam. So erhörte Helmut Kohl in der Spendenaffäre nicht die Bitte seiner Frau, Namen offen zu legen. Höchst unverdient erntete Hannelore Kohl die Schmähung »Spendenhure«. Auch daran zerbrach sie.

Kohl betrieb eine konservative Familienpolitik; Kindererziehung sollte der Rente angerechnet werden. Gerhard Schröders »nachhaltige Familienpolitik« wollte die Frauenerwerbstätigkeit fördern, diente aber eher der Armutsbekämpfung als der Selbstverwirklichung des weiblichen Geschlechts. Obwohl er eine emanzipiert Frau hatte, die im Berliner Kanzleramt gar ein eigenes Büro unterhielt. »Noch nie hat es eine so politische, eine so einflussreiche Kanzlergattin gegeben.« Das Paar Schröder wird von Arntz/Schmale als »ein politisches Team von bemerkenswerter Professionalität« charakterisiert.

Ganz anders das Paar Angela Merkel und Joachim Sauer. Zu ihrer Inthronisation erschien er nicht. Den Professor für Quantenchemie hätten wichtige Arbeiten abgehalten, hieß es später. Wie auch immer, er soll immerhin ihre Redemanuskripte gegenlesen. Die Ruhe und Gelassenheit Angela Merkels auch in Zeiten größter Aufregung und Herausforderung erklärt das Autorduo aus uckermärkischer Herkunft sowie Prägungen in der DDR, in der Schweigen eine Überlebensstrategie gewesen sei, wie sie selbst einmal kundtat. Daher rühre auch ihr Pokerface. Nun ja ...

Jochen Arntz/ Holger Schmale: Die Kanzler und ihre Familien. Wie das Privatleben die deutsche Politik prägt. Dumont. 272 S., geb., 22 €.

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