nd-aktuell.de / 23.09.2017 / Kultur / Seite 16

Wir alle spielen Theater

Aktivisten wollen die Volksbühne übernehmen

Christian Baron

Nein, man will in diesen Tagen nicht in der Haut des Chris Dercon stecken. Erst der vermurkste Start in die neue Spielzeit mit dem Tag der offenen Tanztür auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof. Dann der Vorwurf, der neue Intendant der Volksbühne wolle eigentlich für die künstlerische Arbeit vorgesehene Stellen mit Marketingfuzzis besetzen. Anschließend sagte auch noch die bei vielen Dercon-Feinden beliebte britische Rapperin und Lyrikerin Kate Tempest ihren für Anfang Oktober geplanten Auftritt im Haus am Rosa-Luxemburg-Platz ab. Und jetzt, da die meisten Beobachter ihr Dauerkopfschütteln gerade unterbrechen zu können glaubten, da machten wieder Gerüchte die Runde.

Eine Aktivistengruppe, die sich »Staub zu Glitzer« nennt, verbreitete über die Facebookseite des Alexander-Verlags vor wenigen Tagen einen Aufruf, in dem sie die Besetzung der Volksbühne ankündigt: »Am Tag X werden wird im Rahmen einer Performance das Theaterhaus in Besitz nehmen und zum Eigentum aller Menschen erklären. Wir werden es öffnen und dauerhaft zur allgemeinen Nutzung zur Verfügung stellen.«

Die Lokalzeitung »Tagesspiegel«, die sich seit einiger Zeit als Zentralorgan der neuen Volksbühnenleitung exponiert, recherchierte bienenfleißig und stieß auf das Protokoll einer außerordentlichen AStA-Sitzung der Beuth-Hochschule vom 19. Juni 2017, die eine Anfrage von »Staub zu Glitzer« thematisierte. Laut Protokoll sollen bei der Besetzung »sechs bis sieben Bühnen in den Gängen aufgebaut und bespielt werden«. Im öffentlich einsehbaren Aufruf ist die Rede von »48 Personen, die seit Monaten im Verborgenen und in Vollzeit an der Planung der Performance arbeiten.«

Und nicht nur daran: Man stelle »zunächst einen dreimonatigen, auf einer Welle der Solidarität basierenden Spielplan zusammen, um die sofortige Aufnahme des Betriebs zu gewährleisten und Publikumsströme zu begeistern.« Dieser Duktus lässt eigentlich nur auf Satire schließen. Da die Volksbühnendebatte jedoch immer abstrusere Züge annimmt, wäre es wenig verwunderlich, wenn die Aktivisten es doch ernst meinten.

Wann der besagte »Tag X« sein sollte, darüber ließen die Organisatoren vorab nichts verlauten. Die »BZ« berichtete, am Donnerstagabend habe am Kreuzberger Moritzplatz eine kleine Kundgebung unzufriedener Theaterfreunde und Volksbühnenmitarbeiter stattgefunden. Die Boulevardzeitung nannte ohne Quellenverweis auch einen genauen Termin für die Besetzung des Schauspielhauses: Freitag um 15 Uhr.

Pünktlich zu diesem Zeitpunkt setzte »Staub zu Glitzer« via Facebook diese Erklärung ab: »Es ist geschehen. Die VB61-12 wurde platziert und sie tickt. In einer gewaltigen transmedialen Theaterinszenierung haben soeben Hunderte von Menschen das Gebäude der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz betreten. Vor Ort erschaffen sie etwas nie Dagewesenes.« Weitere Informationen wollte das Kollektiv bei einer Pressekonferenz nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe bekannt geben. Der Volksbühnenkampf geht also weiter.