Das war ein Sprung ins kalte Wasser

Ein Bariton in Jazz-Gefilden: Thomas Quasthoff und Till Brönner über ihre neue Platte

  • Lesedauer: 4 Min.
Jazz-Trompeter TILL BRÖNNER produzierte mit Star-Bariton THOMAS QUASTHOFF dessen erstes Jazz-Album. Begleitet wird der dreifache Grammy-Preisträger von den international renommierten Musikern Chuck Loeb (Gitarre), Alan Broadbent (Piano), Dieter Ilg (Bass) und Peter Erskine (Schlagzeug). OLAF NEUMANN traf Quasthof und Brönner zum gemeinsamen Interview.
ND: Kann man in den tausendfach interpretierten Jazz-Klassikern überhaupt noch etwas Neues entdecken?
Till Brönner: Wir hatten unseren eigenen Maßstab vor Augen. Es war mir eine große Freude, Klassiker wie »My Funny Valentine« und »There Is A Boat That's Leaving« auszuwählen, damit sie sich Thomas zu Eigen machen kann. Wenn er ein Stück wie »I've Grown Accustomed To Her Face« aus dem Musical »My Fair Lady« singt, wird daraus etwas ganz anderes.

In der Vergangenheit sind ähnliche Projekte von anderen Leuten gemacht worden. Was ist das Besondere an Ihrer Zusammenarbeit?
Brönner: Viele andere Sänger hätten nicht den Mut gehabt, sich auf das einzulassen, was wir im Studio erarbeitet haben. Natürlich war es auch für mich eine große Herausforderung, aber ich mache öfter Jazzplatten. Thomas sprang ins kalte Wasser. Es ist aus meiner Sicht auch kein Crossover, sondern eine ganz eigenständige Geschichte. Dieser Begriff hat für mich teilweise sogar etwas Respektloses. Wenn sich Arturo Sandoval hinstellt und ein Trompetenkonzert von Haydn spielt, klappen sich mir die Fußnägel hoch.

Herr Quasthoff, als Bariton haben Sie einen großen Stimmumfang. Sind Sie deshalb für Jazz besonders geeignet?
Thomas Quasthoff: Ich kann sicher eine große Palette abdecken. Aber in dem Moment, wo ich etwas zu sagen habe, ist der Stimmumfang völlig nebensächlich. Der jüdische Tenor Joseph Schmidt zum Beispiel war 1,53 Meter groß. Er konnte nie Oper singen, weil seine Stimme zu klein war. Aber das hohe D sang er mit einer unvergleichlichen Leichtigkeit und Schönheit. Kurz vor seiner Emigration in ein Schweizer Auffanglager, wo er dann 38-jährig starb, hat Joseph Schmidt als Emigrant noch ein bewegendes Stück eingesungen. Da fängt man nach drei Tönen einfach an zu heulen, natürlich auch wissend um sein Schicksal.

Mit welcher Jazzmusik sind Sie aufgewachsen?
Quasthoff: Ich bin durch die komplette Jazzgeschichte gelaufen: Bix Beiderbecke, Sidney Bechet, Oscar Petersen, Cannonball Adderley, Miles Davis, John Coltrane, Peter Brötzmann, Alexander von Schlippenbach, Evan Parker, McCoy Tyner, Aki Takase. Das war wichtig, um sich freizuschwimmen. Hier in Berlin habe ich mir unter anderem ein Konzert von Yosuke Yamashita reingehämmert. Schade um den schönen Flügel! Aber die Energie war schon unglaublich.

Thomas Quasthoff wurde in Hildesheim geboren, Till Brönner in Viersen. Spielt die provinzielle Herkunft eine Rolle, wenn man in den Metropolen erfolgreich ist?
Brönner: Beim Versuch, den Dingen auf den Grund zu kommen, wird vieles mit der Herkunft begründet. Das ist auch wieder so ein Klischee. Man kann letzten Endes aus allem, was im Leben passiert, künstlerische Schlussfolgerungen ziehen. Komme ich aus einer Großstadt, ist es keine Frage, dass ich mit den Großen dieser Welt musiziere. Komme ich vom Lande, ist es die Geschichte vom Tellerwäscher, der zum Millionär wurde.

Sie sind beide weltweite Botschafter der deutschen Kultur. Spüren Sie da eine gewisse Verantwortung?
Quasthoff: Das klingt mir viel zu pathetisch. Natürlich repräsentiere ich auch meinen Kulturkreis. Aber ich empfinde mich in dem Sinne nicht als deutschen Künstler. Ich bin auf dem internationalen Podium zu Hause. Als Musiker ist man eher kosmopolitisch. Trotzdem lebe ich gern in diesem Land und habe die Verpflichtung, den Mund aufzumachen, wenn irgendwas nicht gut läuft. Ich will, dass sich Dinge verbessern. Gerade im kulturellen Bereich geht im Moment vieles den Bach runter. Wir als etablierte Musiker haben die große Pflicht und Schuldigkeit, offen und deutlich zu sagen, dass hier ein paar Dinge im Argen lieben und dringend Verbesserung bedürfen.

Zum Beispiel?
Quasthoff: Es wird alles zugemacht, es wird fusioniert, Chöre und Orchester sollen geschlossen werden. Das ist eine schlimme Entwicklung. Der niedersächsische Ministerpräsidenten Christian Wulff stellt sich hin und sagt, in Berlin sind nur die Arbeitsscheuen. Dabei muss Berlin alles doppelt und dreifach finanzieren. Es wäre eine viel bessere Geste, sich bundesweit ohne Konkurrenzkampf darauf zu einigen, der Hauptstadt die Schulden zu erlassen, damit sie von Null anfangen kann. Berlin hat ein Potenzial wie kaum eine andere Stadt in Europa, wenn nicht gar weltweit. Ich liebe Berlin über alles.

Thomas Quasthoff: The Jazz Album. Watch What Happens (Deutsche Grammophon/Universal)
Live: 17.3. Köln (Philharmonie), 19.3. Berlin (Admiralspalast)
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