Extreme Glut der Melodien

Städtische Galerie Dresden: Informelle Malerei in der DDR

  • Gert Claußnitzer
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.
In der Chronik der abstrakten Kunst kommt der l'art informel, also der informellen Malerei, eine zentrale Rolle zu. Informell, das heißt im Grunde:an keine Form gebunden. Diese Aktionskunst gibt es seit etwa hundert Jahren, von Vorläufern einmal abgesehen. Wassily Kandinsky war es, der, anders als Malewitsch oder Mondrian, sich von Gegenstandsfragmenten löste und in Anlehnung an die Musik im absolut freien Umgang mit bildnerischen Mitteln immaterielle Kräfte auf der Leinwand freisetzte, schrille Farbtöne und heftige Formexplosionen. Er selbst sprach von farbigen Darstellungen »des Wahnsinns, von blinder Tollheit, der Tobsucht«.
Weltweit ausgebreitet hat sich die informelle Kunst eigentlich erst nach 1945, als »unmittelbare Niederschrift enthemmter Triebe«, wie gesagt wurde. Die Kasseler »documenta II« von 1959 und dann auch die Biennale in Venedig 1962 brachte sie in voller Breite zur Anschauung: die unkontrollierte physische Aktion der modernen Künstler, die »Selbsttätigkeit des Materials«.
Was bislang in der Kunstbetrachtung erheblich unterschätzt wurde, ja, was eigentlich als überhaupt nicht existent angesehen wurde, der Beitrag einiger Maler aus Dresden zum informellen Spektrum deutscher Kunst, wird jetzt in einer interessanten Ausstellung in der Städtischen Galerie dokumentiert. Und da ist man einigermaßen verblüfft (oder auch gar nicht verblüfft!) wie qualitätsvoll die Arbeiten der Dresdner Informellen sind, dass sie wohl eine besondere Erwähnung innerhalb der Moderne verdient haben. Künstler, wie Hermann Glöckner, Hans Christoph, Wilhelm Müller, Edmund Kesting, die man vielleicht hervorheben sollte, haben sich ausgesprochen innovativ mit dem »Werkmittel Zufall« in Szene gesetzt, sich motivisch, formal, technisch den international bekanntesten Vertretern der informellen Kunst angeschlossen. Sie stehen ihnen kaum nach, ja, in gewisser Weise sind sie in ihrer seelischen Gestimmtheit für das Schöpferische so manch einem der Auserwählten aus dem Westen sogar überlegen. So lässt sich wohl konstatieren: eine Zuordnung »hier Westkunst - da Ostkunst« kann nicht aufrechterhalten werden. Der Nachteil der Ostkunst besteht aber darin, dass sie weitgehend im Stillen und Verborgenen entstehen musste, der Öffentlichkeit entzogen war und somit keine Resonanz fand. Da drängen sich ganz zwangsläufig die altbekannten Tatsachen wieder auf: der gewaltsam oktroyierte sozialistische Realismus, der kulturelle Dogmatismus, die unselige Formalismus-Debatte. Wer sich bestimmten Postulaten nicht fügte, wurde als unerwünscht abgestempelt. Die da in aller Stille am informellen Werk saßen und die traditionelle Ästhetik zu sprengen gedachten, allein ihrem verborgenen Willen gehorchend, ihrem Instinkt, sich dem Unterbewussten hingaben, handelten freilich in den seltensten Fällen aus Protest. Die Aufhebung aller tonalen Bindungen in einer anarchischen Freiheit des Gestaltens, war eher der Versuch aus einer »zivilisatorischen« Idylle auszubrechen und gedeihliche Möglichkeiten in einer neuen Ästhetik zu finden. Alles hat doch eher etwas mit dem Zauber einer »analytischen Revolte« zu tun. Der Philosoph Max Bense schrieb einmal, »die ästhetische Emanzipation, die Befreiung der Materialien, der künstlerischen Mittel, zerstörte die semantischen, inhaltlichen, gegenständlichen Bezüge der Bilder ...«. Nun, der Blick zurück in die »Gegenwelten« der informellen Malerei hierzulande ist in mehrfacher Hinsicht lehrreich. Da wäre wohl u.a. nach der Verbindlichkeit der Formen nach dem Informel zu fragen. Ein verbindliches Bilddenken wird offenbar daraus nicht erwachsen. Schwund der Überlieferung bedeutet ja zugleich auch eine Verarmung. Der eine oder andere der Informellen ist sich womöglich dessen bewusst gewesen, wie die Biografien zeigen. Die Tradition verleugnend, hat sich so mancher sich ihr doch nicht ganz entledigen können.
Dies trifft sicher auf Hans Jüchser (1894-1977) zu, für den die informelle Malerei nur als kurze Episode zählt. Nicht hingegen auf Hans Christoph (1901-1992). Er hatte schon frühzeitig (1948) Anregungen aufgenommen, sich in der Berliner Galerie Rosen umgesehen (Hans Uhlmanns lineare Drahtplastiken, die biomorphen Abstraktionen Karl Hartungs und die »imaginierte Traumwelt« eines Heinz Trökes!). Was Christoph betreibt, ist die reinste Malerei des Instinkts. Er greift am konsequentesten das sogenannte Drippainting (Tröpfeltechnik) des Amerikaners Jackson Pollock auf, die Farbstrukturen des Tachismus. Die extreme Glut klingender Melodien in den Bildkompositionen von Christoph, die eigenwillige Klänge hervorrufen und auf spontaner Expression und leidenschaftlicher Impulsivität beruhen, verdeutlichen das dynamische Prinzip der l'art informel, den Duktus des gesteuerten Zufalls, am augenscheinlichsten.
Die Berührung zu den internationalen Tendenzen der Dresdner Künstler waren zweifellos nie unterbrochen, auch wenn sie sich nur abgeschieden in ihren Ateliers entfalten konnten. Als künstlerische Alternative wurde vor allem Hermann Glöckner (1889-1987) wahrgenommen, als Patriarch der Avantgarde des Ostens hatte er gleichsam Signalwirkung. Neben den mehr konstruktivistischen Abstraktionen, schuf er ein umfangreiches informelles Werk auch unter Einbeziehung neuer Materialien. Stets hatte er jedoch eine »geheime Ordnung« im Auge und so verlieh er, wie Werner Schmidt treffend bemerkte, »der Unregelmäßigkeit des Zufälligen Maß und Gesetz«.
Ein reich gestimmtes informelles Werk kann Wilhelm Müller (1928-1999). nachweisen. Seine Kunst hat viel von einer »Seelenschrift«. Man fühlt sich an den genialen Zeichner Wols erinnert. Aus Kombinationen von Geraden und flächenhaften Formen, auch silhouettenhaften Gebilden, erwachsen Spiegelungen des Unbewussten, die irgendwie eine Resonanz auf die Wirklichkeit darstellen könnten. Ähnlich wie bei Herbert Kunze (1913-1981) malerisch ungeordnete Bewegungsströme der Farbe, schwer greifbare flüchtige Gestaltungen, die innere Dunkelheiten ahnen lassen! Wohl Inspirationen aus der fernöstlichen Kalligraphie. Eine ganz andere Kunst, der wir hier begegnen, der auch eine andere Welt gegenübersteht.

Städtische Galerie Dresden, Wilsdruffer Str. 2, 01067 Dresden: »Gegenwelten. Informelle Malerei in der DDR. Das Beispiel Dresden«. Bis 8. A...

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