Der Bürger

Ulrich Matthes

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: ca. 1.5 Min.

Der Schauspieler erhält den diesjährigen Theaterpreis Berlin.

Er ist Major Tellheim, der Kaufmann von Venedig, der Kirschgarten-Käufer Lopachin. Und er ist - alles am Deutschen Theater Berlin - nach wie der teuflische Mann an der Seite seiner teuflischen Frau (Corinna Harfouch), und beide sind das (Messer-)Spitzenpaar des Repertoires: »Wer hat Angst vor Virginia Woolf«, Regie: Jürgen Gosch. Zartes Saitenspiel auf den eigenen Nervensträngen - schmerzhafter geht es nicht, es geht nur immer weiter so. Das kann Matthes. Er öffnet uns eine Seele, und es ist nur ein schwarzes Loch. Er schließt sich hinter einer Maske ein, aber das Herz strahlt durch. Dass er auch zu den begehrtesten Sprechern von Hörbüchern wurde, hat sehr viel mit dieser tastenden, geradezu höflichen Stimme zu tun, die so blitzartig ins Auftrumpfende, Wegbeißende hineinspringen kann - dabei noch immer Friedfertigkeit herbeizuschaufeln scheint. Er ist Berliner, Jahrgang 1959. Als Germanistik-Student sprach er dem großen Martin Held vor, und aus dem angehenden Lehrer wurde der zarte, heftige Bühnenmensch. Krefeld, München, viele Jahre Schaubühne am Lehniner Platz - Matthes spielte Tschechow, er sprach und spielte Kleist, als sei der Wert der Gegenwart einzig danach zu bemessen, wie sehr sie  Nachhall äußerster Erfahrungen bleibt; alle Zeiten eine Zeit: in der die Gebrochenen, Gescheiterten das Menschenmaß retten.   Er wurde von »Theater heute« zweimal zum Schauspieler des Jahres gekürt. Er ist Träger des Gertrud-Eysoldt-Ringes. Seine Kunstausübung ist bürgerlich befeuerte Arbeit - wenn man unterm Bürgerlichen das Bedürfnis nach unermüdlicher Selbstformung versteht, einen Sinn für individuellen Rang. Es ist zu vermuten, dass er in seinem Glauben ans Gütige, seiner Treue zur Literatur, seinem Unwillen zur Destruktion zutiefst ironisch ist. So, wie Thomas Mann sein Verhältnis zur bürgerlichen Welt »ironisch« nannte, also »liebevoll und auflösend zugleich«. Ironie - und Melancholie! - als einzigartige Möglichkeiten, sich gegen die Last großer Vergangenheiten zu behaupten; das heißt, das (moralische, ästhetische) Vermächtnis anzunehmen, ohne von ihm erdrückt zu werden. Seine nächste Premiere am DT: Ende April, neben Nina Hoss,...

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