Gerne in der zweiten Liga

Andreas Scheffler stellt im »Schlot« sein neues Buch vor: »Alle spinnen. Ich stricke«

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.

Nicht auszudenken, welchen Lauf Andreas Schefflers Leben genommen hätte, wenn die Studentinnen und Studenten der Westberliner FU im Wintersemester 1988/89 nicht in den Streik getreten wären. Es ist zwar nicht überliefert, dass der damals 22-Jährige in der vordersten Reihe mitprotestierte. Auch spricht wenig dafür, dass etwaige bildungspolitische Errungenschaften des Streiks sich maßgeblich auf Schefflers akademischen Werdegang ausgewirkt hätten. Was er heute ist, isst, trinkt und schreibt, hat seinen Ursprung trotzdem in jenen bewegten Monaten. Da in der besetzten Universität keine Vorlesungen und Seminare stattfanden, nutzten Scheffler und einige Kommilitonen die Zeit, um die Germanistik auf ihre Weise zu praktizieren: Sie schrieben kurzweilige Geschichten, druckten sie in einer von ihnen gegründeten Literaturzeitschrift mit dem programmatischen Titel »Salbader« ab und zogen das aktuelle Geschehen vor dem Uni-Pu᠆blikum in ihrem wöchentlichen »Mittwochsfazit« durch den Kakao.

Die seinerzeit entwickelten Arbeitsabläufe - 1.) etwas erleben, 2.) im Erlebten die Komik aufspüren, 3.) das Komische in einem kurzen Text pointiert herausarbeiten, 4.) das Herausgearbeitete vor Zuhörern lesen - hat Scheffler derart verinnerlicht, dass er sie in den folgenden Lebensjahrzehnten professionalisierte und bis heute praktiziert. Der von ihm 1990 mitbegründete »Frühschoppen« ist die älteste noch immer bestehende Berliner Vorlesebühne, auf der allwöchentlich Frischtexte serviert werden.

Wie Bov Bjerg und Horst Evers hat auch Scheffler inzwischen ein paar Bücher veröffentlicht, die aber, anders als die Titel seiner beiden Kollegen der ersten Stunde, keine Bestseller geworden sind. Scheffler scheint das nichts auszumachen, im Gegenteil: »Ich hatte noch nie etwas dagegen, in der zweiten Liga zu spielen«, heißt es in einer Geschichte seines jüngsten Erzählbandes.

Zweite Liga, das ist in diesem Fall das »Sterni-Camp«, benannt nach der Billigbiermarke; ein erfundener Abklatsch jenes »Hasseröder Männer-Camps«, das tatsächlich mal existiert hat und dessen Werbeslogan man im Internet googeln kann: »Ein Ort, an dem Mann noch richtig Mann sein kann«. Wie das jenseits des Bier-Marketings aussieht, wenn ein Mann noch richtig Mann sein kann, schildert nun Scheffler als Insasse des »Sterni-Camps«. Kaum hat das Kamerateam die vier Männer allein gelassen, wird gesoffen und geprahlt, gerülpst und gefurzt, was das Zeug hält. »Wenig später«, resümiert der Erzähler, »sehe ich alles im Internet. Ich denke: Zum Glück ist es nur das Sterni-Camp gewesen. Das guckt doch keine Sau.«

Lesend oder zuhörend einmal dabei zu sein, wenn Scheffler von seinen fiktiven Begegnungen in der real existierenden Umwelt berichtet, sollte sich aber niemand entgehen lassen, der Freude daran hat, sein Ebenbild im Zerrspiegel der Fiktion zu entdecken. Was diese Texte ausmacht, die immer beides sind: erlebt und erfunden, ist ihr Kniff, den scheinbar geregelten Alltag aufzureißen wie eine Papiertüte, aus der dann plötzlich der ganze Einkauf auf den Asphalt kracht. Schöne Sauerei! Zum Alltag, von dem es zu erzählen lohnt, gehören für diesen Autor nämlich auch jene Aspekte, die gemeinhin als peinlich gelten. Warum sollte es, wenn renommierte Autoren doch über Sex in allen Spielarten schreiben, nicht legitim sein, auch das Geschehen auf dem Lokus zu thematisieren? Wo man doch »in der Regel weit häufiger aufs Klo geht, als mit jemandem zu schlafen«. Schön an Schefflers Geschichten ist, dass ihr Menschenhass, der sich immer als Kehrseite der Menschenliebe zu erkennen gibt, auch vor dem Erzähler selbst nicht halt macht.

Erzählt wird von den lästigen, aber immer eine Lehre fürs Leben zurücklassenden Begegnungen in den Zügen der Deutschen Bahn oder von den Nachbarn im beschaulichen Örtchen im Berliner Umland. Hierher, nach Groß Köris, verschlug es den gebürtigen Gütersloher vor geraumer Zeit gemeinsam mit seiner Frau und den Katzen. Zweite Liga im Vergleich mit der Großstadt? Keinesfalls, was das Potenzial an Begebenheiten betrifft, deren Literaturtauglichkeit der mittlerweile Fast-Fünfzigjährige immer wieder aufs Neue beweist.

Andreas Scheffler: Alle spinnen. Ich stricke. Geschichten. Satyr-Verlag, 176 S., br., 14 €. Buchpremiere mit musikalischer Begleitung durch Manfred Maurenbrecher am 27. September, 20 Uhr, in der Kunstfabrik Schlot, Invalidenstraße 117, Mitte

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