Ein Haus, das viele reizt

Jüdische Gemeinde möchte Görlitzer Synagoge zurück

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Die Görlitzer Synagoge hat als einzige in Sachsen die Novemberpogrome 1938 überstanden. Heute gehört sie der Stadt. Die hatte Pläne. Jetzt aber möchte eine jüdische Gemeinde das Gotteshaus wieder nutzen.

Eines Tages war das Schloss ausgetauscht. Mira Gelehrter stand vor verschlossener Tür. Eines schien zum anderen zu passen. Wenige Tage zuvor hatte die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Görlitz ein Schreiben aus der Stadtverwaltung erhalten. In der, wie es hieß, »ehemaligen« Synagoge seien Führungen und Besichtigungen erlaubt, sonst nichts. Und nun war die Tür versperrt. Mira Gelehrter ist entschieden nicht der Meinung, dass es sich bei dem stolzen Gebäude, das am Rande eines kleinen Parks in der Görlitzer Altstadt steht, um eine »ehemalige« Synagoge handelt. Mag sein, dass auf einer Tafel neben dem hohen Portal von einem »Kultur- und Begegnungszentrum« die Rede ist. Mag auch sein, dass man im Rathaus hochfliegende Pläne für den Jugendstilbau hatte: Der Kreistag könne dort tagen, Konzerte könnten stattfinden. Gelehrter, eine junge Tierärztin mit rumänischen Vorfahren, die aus Niedersachsen nach Görlitz zog, schüttelt den Kopf: »Die Synagoge ist nicht für den Kreistag gebaut worden, sondern als Gotteshaus.« Frei über die Synagoge bestimmen können Gelehrter und ihre Gemeinde, die gerade 30 Mitglieder zählt und neben ihrer Familie zu einem Gutteil aus Ortsfremden besteht, freilich nicht. Der Grund: Die Synagoge gehört der Stadt. Diese hat das Gotteshaus 1963 von der Jüdischen Gemeinde Dresden gekauft. Im Jahr 2001 wurden noch einmal 108 000 Euro als Entschädigung an die Jewish Claims Conference überwiesen. Für eine religiöse Nutzung gab es damals keinen Bedarf: Seit der NS-Zeit hatte es in Görlitz keine Juden mehr gegeben. Freiwillig, merkt Mira Gelehrter an, habe man die Stadt und das Gotteshaus freilich nicht verlassen: »Unsere Vorfahren gingen nicht selbstverschuldet in den Tod.« Die Mehrzahl der einst rund 1000 Görlitzer Juden fiel dem Holocaust zum Opfer. Als sichtbares Zeugnis jüdischen Lebens blieb in der Stadt nur die Synagoge, die als einzige in Sachsen in der Pogromnacht vom 9. November 1938 nicht niedergebrannt wurde. Der prächtige Bau, der 1910 nach Plänen der Dresdner Architekten William Lossow und Max Hans Kühne errichtet wurde, stand jedoch meist leer. Im Gebetsraum, der einst samt der Empore für die Frauen bis zu 550 Menschen aufnehmen konnte, wurden Requisiten gelagert. Das Haus selbst verfiel. Bestrebungen, das markante Gebäude mit dem gedrungenen Mittelturm und den regelmäßigen, hohen Fenstern wieder zu nutzen, gab es erst nach 1990. Seither werden in der gesamten Görlitzer Altstadt schöne Häuser aus Barock und Renaissance wieder hergerichtet. Auch Dach, Fassade und Fenster der Synagoge wurden repariert; insgesamt seien in die Sanierung bereits 4,5 Millionen Euro geflossen, sagt Dieter Peschel, Chef des Gebäude- und Liegenschaftsmanagements der Stadt. Der äußere Schein jedoch trügt. Eigentlich, sagt Peschel, sei die Synagoge weiterhin »eine Baustelle«. Der Saal verfüge weder über Rauchabzüge noch über Sicherheitsbeleuchtung, markierte Fluchtwege und Feuertüren. Die »einfachsten Sicherheitsbedingungen« seien nicht erfüllt. Deshalb haben ein Förderverein und die Gemeinde für die Nutzung des Hauses strenge Auflagen: 20 Personen dürfen hinein, mehr nicht. Den Vorwurf, sie würden an der Religionsausübung gehindert, weist Peschel zurück: »Wer will ihnen denn das Beten verbieten?!« Mit dem Provisorium müssen Mira Gelehrter und die Gemeinde noch eine Weile leben. Erst im Laufe des Jahres sollen Sicherheitseinrichtungen eingebaut werden, für immerhin 250 000 Euro. So lange müssen Interessenten ihren religiösen Bedürfnisse im Rahmen von Führungen nachkommen. Für jüdische Geschäftsleute sei das schon eine Erleichterung, räumt Gelehrter unter Verweis auf strenge Gebetsvorschriften des Judentums ein: »Zuvor mussten wir manchen morgens aus Berlin holen und abends zurückbringen.« Dort gibt es eine funktionierende Synagoge. Obwohl Gelehrter inzwischen wieder einen Schlüssel für die Synagoge in Görlitz hat und Missverständnisse über die Nutzung ausgeräumt wurden, wird das Tauziehen um das künftige Hausrecht weitergehen. Gelehrter glaubt, dass mancher in der Stadtverwaltung sich weiter als legitimer Eigentümer des Hauses sieht. Aber, fügt sie kämpferisch hinzu: »Sie schmücken sich mit fremden Federn.« Sie sei entschlossen, die Synagoge für die jüdische Gemeinde zurückzugewinnen, sagt sie - wie klein diese auch immer sei. Verhandlungen über einen Rückkauf laufen, wie das Rathaus bestätigt. Viele Bürger unterstützten sie, sagt Gelehrter - nicht zu...

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