nd-aktuell.de / 30.09.2017 / Kultur / Seite 27

Polyhistor und Musensohn

Kalenderblatt

Volker Külow

Am 15. September wäre der im Frühjahr verstorbene Leipziger Polyhistor Werner Berthold 94 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen zu einer Hommage in ihre Räumlichkeiten ein, um ihr Gründungsmitglied angemessen zu ehren und zugleich mit einer Kabinettsausstellung das bislang kaum bekannte bildkünstlerische Schaffen dieses außergewöhnlichen Wissenschaftlers der interessierten Öffentlichkeit vorzustellen.

Stiftungsvorsitzender Peter Porsch würdigte Berthold als »einen ehrlichen und aufrechten politischen Menschen«. Kurt Meyer, ein enger Freund des Verstorbenen, beschrieb dessen Werdegang als junger Antifaschist, ABF-Absolvent und Student der Philosophie, Geschichte und Erwachsenenpädagogik an der Leipziger Universität, wo er in den legendären 1950er Jahren bei Ernst Engelberg, Werner Markov und Ernst Bloch studierte; letzterer sagte später über Berthold: »Er gehörte in seiner Weise zum Geschlecht Nicht-Schmalspur, das wir so dringend benötigen.«

Bertholds akademische Meriten als Inhaber des in der deutschen Wissenschaftslandschaft Ost wie West seinerzeit einzigartigen Lehrstuhls für Geschichte der Geschichtswissenschaft an der Karl-Marx-Universität von 1973 bis 1988 zeichneten Gerald Diesener und Monika Gibas, zwei seiner Meisterschüler, kundig nach. Beide lobten dessen Fürsorglichkeit bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und skizzierten seinen schulebildenden Stil.

Berthold blieb bis ins hohe Alter neugierig und kreativ. Manfred Neuhaus verwies darauf, wie souverän, eloquent und streitbar der quicklebendige Emeritus für »Leipzigs Neue«, das »Neues Deutschland«, aber auch die »Sächsische Zeitung« Sujets aus Geschichte und Politik behandelt hat. Polyhistor Berthold habe ein unbestechliches Urteil besessen und die nicht alltägliche Kunst beherrscht, komplexe Sachverhalte prägnant, unterhaltsam und mit Hintersinn zu schildern. Einen Glanzpunkt seiner letzten Schaffensphase bilden die gemeinsam mit Mario Keßler verfassten Beiträge für die Rubrik »Klios Jünger« an dieser Stelle. Die insgesamt 102 Historikerporträts von Homer bis Hobsbawm erschienen 2011 dann auch in Buchform im Leipziger Universitätsverlag, dessen Geschäftsführer für den 95. Geburtstag von Werner Berthold im nächsten Jahr die Herausgabe seiner Memoiren ankündigte.

Am Ende der Veranstaltung dankte die Witwe Regina Berthold allen Mitwirkenden und eröffnete die Ausstellung von Ölstudien, Aquarellen, Kohlezeichnungen und Skizzenbüchern, die während der Lehrzeit im grafischen Gewerbe und einem Freisemester an der Kunstakademie in den Jahren 1937 bis 1940 entstanden. Sie bezeugen ein bemerkenswertes Talent, das durch Hitlers Krieg keine berufliche Fortsetzung fand.

Volker Külow