nd-aktuell.de / 30.09.2017 / Kommentare / Seite 22

Huch, Ossis

Dass die AfD in den Bundestag eingezogen ist, sollte eigentlich niemanden überraschen, meint Paula Irmschler.

Paula Irmschler

Als in den 1990er Jahren der 13. Februar in Dresden und das Opfergejaule um die Frauenkirche von den wahren Rechtsextremen instrumentalisiert wurde, waren alle ganz überrascht. Als sich in den 2000ern das »Gedenken an den Bombenangriff« zum größten europäischen Naziaufmarsch entwickelte, waren alle ganz überrascht. Als 2004 die NPD in den sächsischen Landtag einzog, war man wieder überrascht. 2009 dann noch mal das Gleiche und auch da: große Überraschung. Als der NSU, der jahrelang in Sachsen untertauchen konnte, aufflog, waren alle ganz überrascht. Als Pegida Ende 2014 anfing, montäglich durch Dresden zu ziehen, was waren alle da? Klar, überrascht. Und dann erinnern wir uns an die unzähligen Angriffe auf Flüchtlingsheime 2015 und 2016, viele davon in Sachsen, unheimlich viele davon, und Erstaunen in den alten Bundesländern. Und jetzt die AfD als stärkste sächsische Kraft für den Bundestag und alle wieder so: Wie konnte das denn passieren? Oder: diese blöden Ossis. Aber niemals: Wir müssen ernsthaft etwas tun und uns sächsische Strukturen anschauen.

Dabei geht es nicht darum, mit Nazis zu reden, die Sorgen besorgter Bürger ernstzunehmen und Verständnis aufzubringen. Rassisten sind Rassisten, weil sie Rassisten sein wollen. Leute lesen das Wahlprogramm der AfD nicht, weil sie es nicht lesen wollen und weil sie in Kauf nehmen, dass sie, zugunsten polemischen Unsinns, selbst verlieren. Viele Sachsen sind unsolidarisch, weil sie unsolidarisch sein wollen. Aber es gibt Menschen, die direkt unter Rassismus und abwesender Solidarität leiden. Das sind die Menschen, die nicht weiß sind, das sind Menschen, die nicht privilegiert sind, Menschen, die linke Arbeit leisten wollen. Man kann also sagen, die Ossis sind nicht zu retten, aber damit gewinnt man nichts außer Gemütlichkeit. Und die Verlierer sind die Betroffenen struktureller und direkter Gewalt.

Stattdessen kann man sich auch bewusst machen, warum menschenverachtende Gruppen gewinnen und nicht progressive. Und dann ist alles so gar keine Überraschung mehr. Denn statt Rechtsextremismus zu bekämpfen, wird Linksextremismus bekämpft. Statt Projekte zu unterstützen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, werden ihnen in Sachsen Steine in den Weg gelegt oder Finanzierungen gestrichen. Statt Objektivität zu wahren, sympathisieren Polizisten auf Demos mit Rechten. Statt auf das Zustandekommen und die Besonderheiten von rechter Politik einzugehen, malen sächsische Professoren ein Hufeisen an die Tafel und tun links wie rechts als ebenbürtige Spinnerideologien ab. Statt rechte Gruppierungen zu beobachten, werden linke abgehört. Und statt solidarisch mit linken Kräften zu sein, machen westliche Linke Späßchen über den Wiederaufbau der Mauer und den verlorenen Osten. Kann man so machen. Man kann resignieren. Aber dann seid wenigsten nicht überrascht.