nd-aktuell.de / 04.10.2017 / Kultur / Seite 14

Dunkle Mächte am Ruder?

Das Buch »Lügen die Medien?« vermischt medienkritische Berichte, Verständnis für Pegida und dubiose Empfehlungen

Matthias Holland-Letz

Wie es zum NATO-Einsatz gegen Serbien 1999 kam? Die folgende Antwort steht wohl kaum in Mainstream-Medien: »Der Grund, warum wir auf den Balkan gegangen sind, liegt in den Versäumnissen des Zweiten Weltkrieges.« US-Oberbefehlshaber Eisenhower habe damals verpasst, amerikanische Bodentruppen zu stationieren. »Das mussten wir unter allen Umständen nachholen.« Anders sei es nicht möglich, eine Region zu kontrollieren. So hätten sich Vertreter von US-amerikanischen Denkfabriken geäußert, im Mai 2000 auf einer Konferenz in Bratislava. Das berichtet Kurt Gritsch, Konfliktforscher aus der Schweiz, im Sammelband »Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung«.

Auch andere Beiträge in dem jüngst erschienen Werk sind lesenswert. Professor Ulrich Teusch, Politikwissenschaftler und Hörfunk-Journalist, untersuchte etwa die hiesige Berichterstattung über Russland. Er verweist auf das russische Parlament, die Duma, in der neben der Putin-nahen Partei »Einiges Russland« drei weitere Parteien vertreten sind. »Die gelten als ‚›System-Opposition‹, soll heißen: Sie sind gar keine richtige Opposition«, schreibt Teusch. »Das kann man so sehen. Aber warum legt man solch strenge Maßstäbe nicht an den (…) US-Kongress an? Wie verhält es sich dort mit der System-Opposition - und wo ist die anti-systemische Opposition?« Eine Frage, die ARD, ZDF, Spiegel oder FAZ wohl höchst selten stellen.

Eindrucksvoll sind auch die Erfahrungen von Ulrich Tilgner, Leiter des ZDF-Studios in Teheran von 2003 bis 2008. Er habe sich in seinen Möglichkeiten beschnitten gesehen, »das Scheitern des Westens und auch Deutschlands in Afghanistan aufzuzeigen«, berichtet Tilgner. »So wurde ich regelmäßig nach Bagdad geschickt, wenn ein Kollege aus Mainz in Afghanistan affirmative Berichte über den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch fertigte.« Später habe er erfahren, »dass ich im Auswärtigen Amt als nicht vertrauenswürdig und damit als nicht zu unterstützender Journalist gewertet wurde«.

Die Schriftstellerin Daniela Dahn kritisiert, hiesige Medien ließen wichtige Informationen zum Syrien-Krieg unter den Tisch fallen. Etwa zum Vorwurf, die syrische Armee verwende Giftgas. Zwar habe Tagesspiegel Online ein Video mit dem Dementi des syrischen Außenministers veröffentlicht. Doch dieses Video enthielt laut Dahn eine weitergehende Botschaft, die vom Tagesspiegel nicht publiziert wurde. Demnach habe »die syrische Regierung (…) viele Dutzend Male den UN-Sicherheitsrat darüber informiert, dass die in Syrien kämpfenden Terroristen über chemische Kampfstoffe verfügen«. Diese Warnungen seien aber ignoriert wurden. Dahn fragt: Wie könne der Tagesspiegel widerlegen, »dass er hier zensiert hat?«

Die Beiträge anderer Autoren muss man dagegen kritisch sehen. Professor Jörg Becker, Politikwissenschaftler in Marburg, äußert sich zur Public-Relations-Industrie. »Konkret beherrschen vier gigantische PR-Verbundsysteme die gesamte Welt von Werbung, Public Relations, Medien und Consulting«, so Becker. Kaum jemand bestreitet den großen Einfluss von PR-Strippenziehern, aber beherrschen sie »die gesamte Welt« der Medien? Becker erklärt, dass auch viele Regierungen PR-Firmen nutzen, um für sich zu werben. So solle WMP Eurocom im Auftrag der türkischen Regierung »das Türkeibild in der deutschen Presse aufhübschen«. Ketchum Pleon wiederum habe die Aufgabe, »für die russische Regierung ein positives Russlandbild in den deutschen Medien herzustellen«. Das ist keine überzeugende Argumentation, hält man sich das Russlandbild in den die hiesigen Medien vor Augen, das wahrlich nicht positiv geprägt ist. Das zeigt, wie schnell die Millionen, die Regierungen in PR-Kampagnen stecken, mitunter verpuffen.

Das Buch will uns zudem weismachen, dass dunkle Mächte am Ruder sind. »Wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben«, raunt es Leserinnen und Lesern entgegen. »Unser Land ist mit großen Schritten auf dem Weg in den totalitären Staat«, heißt es weiter. Von George Orwell und »Gedankenkontrolle« ist die Rede. Der Kampf gegen Fake News? Da gehe es doch nur um »Zensur« und »Gesinnungsprüfungen«.

Nur wenige der 24 Autoren halten es für angebracht, sich vom »Lügenpresse«-Geschrei der Pegida-Demonstranten und AfD-Wähler zu distanzieren. »Wer die Medien kritisiert, ist neuerdings rechts, insbesondere wenn er dieselben als ›Lügenpresse‹ bezeichnet - meinen jedenfalls die Leitmedien«, beanstandet Jens Wernicke, Mitautor und Herausgeber des Sammelbandes und Verantwortlicher für die Online-Plattform Rubikon, für die auch ein Teil der Autorinnen und Autoren dieses Buches schreiben. Verstörend, wie viel Verständnis im Buch für die Parolen der Rechten zu finden ist: »Pegida ist keineswegs ein Haufen von Faschisten, sondern das folgelogische Ergebnis kriegstreibender Politik«, meint der Psychologie-Professor Klaus-Jürgen Bruder. Dass sich die Zahl der Asylsuchenden erhöhe, so Bruder, sei schließlich die »natürliche Folge der Vervielfältigung der Kriege, an denen Deutschland (…) beteiligt ist«. Insofern sei »der Kampf gegen mehr Asylsuchende auch als rechte ›Kritik‹ an dieser Kriegspolitik zu deuten«. Wer so denkt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er sich dem Verdacht aussetzt, beim nächsten AfD-Marsch mitzulaufen und »Lügenpresse« zu grölen.

Kopfschütteln lässt, dass etliche Autoren die Leserinnen und Leser auffordern, sich bei »Alternativmedien« im Internet zu informieren - ohne zu warnen, dass diese oftmals Schauermärchen, Halbwahrheiten und Propaganda verbreiten. Auch der Journalist und Buchautor Walter van Rossum macht dabei mit. Er hält das »mediale Improvisieren« für »großartig«. »Wir basteln uns gerade - jeder auf seine Art - die Informationen zusammen, die wir brauchen«, so van Rossum. Wohltuend klingt da die Mahnung von Daniela Dahn. Sie erklärt, dass »alternative Medien« nicht mit »alternativen Fakten« verwechselt werden dürften.

Markus Fiedler, Lehrer und Wikipedia-Kritiker, empfiehlt hingegen allen Ernstes »NuoViso.TV«. Dieses »alternative Medium« sei ihm »durch gut recherchierte Beiträge aufgefallen«, verkündet er. Wer diese Webseite aufruft, stößt auf Schlagzeilen wie »Heilige Kuh Klimawandel« und eine Werbeanzeige des rechtslastigen Kopp-Verlags. Eva Herman, die einstige Tagesschau-Sprecherin, die mit rassistischen Sprüchen aufwartete, gibt hier den Interviewgast. Auch ein anderer Autor des Buches, der Schweizer Historiker Daniele Ganser, legt den Lesern »alternative Medien« ans Herz. Wen könnte er meinen? Ganser lässt sich gerne von KenFM einladen, dem Webangebot des umstrittenen Ex-Radiomoderators Ken Jebsen. Der bejubelt den jüngst verstorbenen Udo Ulfkotte als »Whistleblower«, als den »Edward Snowden der deutschen Presselandschaft«. Ulfkotte verfasste AfD-nahe Bücher wie »Die Asyl-Industrie« oder »Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung«, erschienen im bereits genannten Kopp-Verlag. Neben Daniele Ganser treten drei weitere Autoren von »Lügen die Medien?« bei KenFM auf. Dazu zählt der Kieler Psychologie-Professor Rainer Mausfeld. Daniele Ganser, Jens Wernicke und Ken Jebsen veröffentlichen zudem auf free21.org, einem weiteren »alternativen spendenfinanzierten Medienprojekt«. Free 21 präsentiert sich als links und aufklärerisch. Doch finden sich hier Texte, die »Das Strahlungskartell« heißen (es geht um vermeintliche Gefahren des Mobilfunks) oder »Wer lockt mit Twitter Flüchtlinge nach Deutschland?«. Seriöse Autoren neben zweifelhaften Thesen, Verständnis für Rechtspopulisten und dubiosen Empfehlungen: Wahrlich eine krude Mischung, verpackt als »Medienkritik-Kompendium«.

Jens Wernicke: Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung. Westend-Verlag, 359 S., br., 18 €.