nd-aktuell.de / 04.10.2017 / Kultur / Seite 15

Niemand ist austauschbar

Franziska Walser über ihre Rolle als evangelikale Fundamentalistin in dem Fernsehfilm »So auf Erden«

Jan Freitag

Frau Walser, Sie spielen in »So auf Erden« eine evangelikale Christin mit extrem fundamentalistischem Weltbild. Woran glauben Sie?
An die Liebe.

Nicht an Gott?
Doch, wenn wir Gott »Liebe« nennen, eher als geistliche, als kreative, alles ordnende Kraft.

Wird man als diesbezüglich Ungläubige nicht dennoch ein bisschen neidisch auf Gläubige wie Ihre Filmfigur Lydia, die auf alles immer eine Antwort namens Gott haben?

Manchmal schon. Auf der anderen Seite ist absolute Sicherheit gar nicht so meins. Ich lebe ganz gut mit Unsicherheit und Widerspruch.

Sind Sie bei der Suche nach dem Wesen Ihrer Rolle Menschen wie Lydia begegnet?
Natürlich. Das begann schon bei der ursprünglichen Autorin des Drehbuchs. Claudia Schreiber stammt ja selber aus diesem evangelikalen Milieu. Sie hat mir davon erzählt, wie sie sich davon befreit hat; da wird einem ganz schummrig. Auch wenn man sich Filme über die Szene ansieht, merkt man, dass das ein Sammelbecken für unsichere Menschen ist.

Ist die Herausforderung da größer, so eine Figur zu spielen?
Es war eine besondere Schwierigkeit, weil wir den Spagat wagen wollten, das Milieu zu zeigen, aber nicht von außen. Es ging nicht darum, die Figuren zu verurteilen, sondern ihre Begrenzungen aufzuzeigen und sie mit Empathie durch ihre Krise zu begleiten.

Kommt die Ihre deshalb im ersten Drittel fast schon positiv weg?
Vielleicht, aber das ist ja nicht konstruiert, sondern realistisch. Sie haben ja diese große Empathie und Überzeugung, das Kommunikative, Musikalische. Und die evangelikalen Kirchen sind nicht so trocken wie die alten Kirchen, vielleicht sind sie ja auch deshalb so auf dem Vormarsch.

Mit welcher Art Kirche sind Sie aufgewachsen?
Mit der Katholischen. Meine Eltern sind zwar nicht in die Kirche gegangen, aber auf dem Land, wo ich aufgewachsen bin, war sie für mich ein magischer Ort. Durch diese Mystik der Verwandlung - Wasser in Wein, Leib Gottes aus Brot, eingebettet in Musik - hat sie mir die erste Vorstellung von Theater in meinem Leben vermittelt.

Und somit auch zur Schauspielerin gemacht?
Absolut. Sich selbst verwandeln zu wollen, nimmt dort seinen Anfang.

So viel Verwandlung schien in diesem Fall aber gar nicht nötig; Lydias Kontrolliertheit scheint Ihrer eigenen zu ähneln.
In der Außenwirkung kann es sein, dass man mich als kontrolliert wahrnimmt. Aber je älter ich werde, desto mehr versuche ich, diesen Eindruck von Selbstkontrolle abzubauen. Ich nehme mich eher als unsicher wahr, aber dem überlasse ich mich natürlich nicht völlig.

Können Sie diese Unsicherheit wie einen Schalter umlegen, wenn die Kamera läuft?
Klar, dafür gibt es ja die Rolle, der man sich ganz anvertrauen kann. Aber stimmt schon - ich kriege oft diese Art selbstkontrollierte Figuren angeboten, weil Frauen im Film, zumal in meinem Alter, nun mal für die Beziehungsarbeit vorgesehen sind. Das Ordnende, Soziale. Das zu füllen, fällt mir nicht schwer.

Hat sich das insofern gewandelt, als dass Sie in den Siebzigern impulsivere Rollen spielen durften?
Das ist eine Art Branchengesetz. Wobei sich auch das langsam entwickelt. Umso mehr ärgert es mich, wenn Frauen so stereotyp besetzt werden, wohingegen Männer widersprüchlicher agieren dürfen. Das kritisiere ich und versuche, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dieses Schema aufzubrechen.

Und bringt das was?
Ich finde schon. Lydia war mir anfangs zu defensiv. In derart konservativen Kirchen sind Frauen ja naturgemäß unterprivilegiert. Diese Diskrepanz ist deutlich spürbar, weshalb ich der Lydia in diesem evangelikalen, also männerdominierten Zusammenhang mehr Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein geben wollte.

Waren Sie ihr da später näher als am Anfang?
Ja. Sie macht eine Entwicklung durch. Auch das ist im Film sonst eher Männern vergönnt. Und genau das war nicht von Beginn an im Buch, sondern ist durch Diskurs entstanden.

Lydias Mann ist im echten Leben auch der Ihre. Fällt es schwer, das am Set zu trennen?
Erstens haben wir uns durch den Beruf kennengelernt. Zweitens ist jede Person, die mir auf der Bühne oder vor der Kamera gegenübertritt, eine Mischung aus Mensch und Rolle.

Es wäre also mit jedem anderen Kollegen gleich gewesen, diesen Film zu machen?
Das natürlich nicht. Es wäre mit einem anderen nur ein anderer Film geworden. Niemand ist austauschbar, das ist das Tröstliche.

Mittwoch in der ARD, 20.15 Uhr