Turnen ohne Druck und Bremse

Tabea Alt will bei ihrer ersten Weltmeisterschaft gleich in die Geschichte ihres Sports eingehen

  • Frank Thomas, Montreal
  • Lesedauer: 3 Min.

Tabea Alt kann die Vergleiche mit Fabian Hambüchen kaum noch hören. »Ich mache mir gar keinen Druck. Ich will hier zeigen, wer ich bin und was ich kann. Ich versuche mir durch diese Art der Motivation einen Extraschub zu verleihen«, meinte die deutsche Hoffnungsträgerin vor ihrer WM-Premiere am Mittwoch in Montreal. Dass man sie schon oft mit dem erfolgreichsten deutschen Turner vergleicht, ist für sie aber auch eine große Anerkennung.

In Sachen Ehrgeiz und Trainingsfleiß steht die Gymnasiastin ihm schon jetzt in nichts nach. Um 5.00 Uhr klingelt morgens ihr Wecker, täglich zwei Mal trainiert sie bis zu drei Stunden an sechs Tagen der Woche. Bei der WM im Olympic Stadium, in dem 1976 die Leichtathleten ihre Olympiasieger kürten, könnte sie nun den Durchbruch schaffen, nachdem sie im April bei der EM in Cluj-Napoca von Magen-Darm-Problemen gehandicapt war. »Das war schrecklich«, erinnert sich Alt. Doch mit Platz eins in der Mehrkampfqualifikation und zuvor dem Sieg im Gesamtweltcup hatte sie ihr Potenzial schon angedeutet.

Obwohl sie sich zur Regeneration im Juni eine Wettkampfpause gönnte, auf das Turnfest verzichtete und sich auf den Abschluss der zehnten Klasse (Notenschnitt 1,5) konzentrierte, blieb für Urlaub wegen der WM-Vorbereitung keine Zeit. Dafür opferte sie einen Teil der knapp bemessenen Freizeit für Fahrstunden, um nach bestandener Theorieprüfung möglichst bald den Führerschein in den Händen zu halten. »Aber hier zählt nur der Sport«, gibt sie die Devise aus. »Es ist Wahnsinn, in dieser Riesenarena turnen zu dürfen.«

Bei Hambüchen, der sie in Marketingfragen berät, hatte ihre Pause zwiespältige Gefühle ausgelöst. »Natürlich steht die Gesundheit im Vordergrund. Ich habe früher ja auch öfter mal eine Handbremse im Training gezogen. Aber das Turnfest in der Hauptstadt wäre für sie natürlich auch eine Riesenplattform gewesen«, sagt der Olympiasieger. Cheftrainerin Ulla Koch stand voll hinter der Maßnahme. »Wir wollen sie ganz behutsam aufbauen«, begründet sie. »Druck kann sie sich aber nur selber machen.« Früher war das noch ein bisschen anders. »Ich wollte immer ein bisschen zu viel«, gibt Tabea Alt zu, manchmal nicht geduldig genug gewesen zu sein. »Wir mussten sie manchmal bremsen«, erinnert sich Trainer Robert Mai, der die Turnerinnen in Stuttgart betreut.

Im Frühjahr hatten sich Alt und ihre Trainer überlegt, welche neuen Schwierigkeiten sie in ihre Übungen einbauen wollen. Während sie am Schwebebalken schon Weltspitze ist und WM-Hoffnungen weckt, ging es am Stufenbarren einen großen Schritt nach vorn. Zu ihrer WM-Übung gehört ein Element, das sie nun als erste Turnerin vorstellen möchte. Sollte das Durchbücken durch beide Arme zum unteren Holmen gelingen, gäbe es künftig im Regelwerk den »Alt« - auf ewig wäre die Ludwigsburgerin in der Turngeschichte verankert. dpa/nd

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