Wilke gegen Wilke

Bei der Oberbürgermeisterwahl 2018 in Frankfurt (Oder) treten zwei Namensvettern an

Er ist Vizevorsitzender der Linksfraktion im Landtag und er möchte Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Frankfurt (Oder) werden. Das ist kein Scherz. Er meint es ernst. Am späten Donnerstagnachmittag macht Wilke bei einer Pressekonferenz in einem Kabarettkeller offiziell bekannt, was viele schon länger erwartet haben. Er will bei der Oberbürgermeisterwahl am 4. März kommenden Jahres antreten. Dies nicht allein für die LINKE. Er soll der Bewerber einer Listenverbindung aus LINKE und Grüne werden.

»Er ist der beste Kandidat. Seit Jahren arbeiten wir vertrauensvoll und gut zusammen. Wir sind gern sein grünes Gewissen«, erklärt Alena Karaschinski, Stadtchefin der Grünen. Bei der Oberbürgermeisterwahl 2009 hatten die Grünen dazu aufgerufen, Stefan Ludwig (LINKE) anzukreuzen. Diesmal möchte die Ökopartei mit der Listenverbindung noch einen Schritt weiter gehen.

Von jahrelanger, enger Zusammenarbeit mit den Grünen in der Stadtverordnetenversammlung und von gemeinsamen Werten spricht auf der anderen Seite auch René Wilke, der darüber hinaus von sich meint, durchaus auch bis ins sozialdemokratische Lager hinein eine wählbare Alternative zu den Mitbewerbern zu sein.

René Wilke ist in Frankfurt (Oder) geboren und abgesehen von fünfeinhalb Kindheitsjahren in Moskau auch dort aufgewachsen. Studiert hat er Kulturwissenschaften, Politik- und Verwaltungswissenschaften sowie Psychologie an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt (Oder) und an der Fernuniversität Hagen.

Frankfurt (Oder) ist eine Hochburg der Sozialisten. Den Oberbürgermeister konnte die Partei dennoch schon lange nicht mehr stellen. Der letzte Genosse in dieser Position war Fritz Krause (SED), der 25 Jahre lang als Rathauschef arbeitete. Er lebte bescheiden in einer Plattenbauwohnung und engagierte sich sehr, gilt als Retter der Marienkirche. Viele ältere Einwohner haben ihn gut in Erinnerung behalten. Im Februar 1990 wurde Fritz Krause nicht etwa abgewählt. Er schied aus Altersgründen aus dem Amt. Seine Partei benannte sich mehrmals um, hieß lange PDS und fusionierte dann mit der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit, nahm schließlich die Bezeichnung LINKE an. Fritz Krause hat das alles noch miterlebt. 2012 starb er im Alter von 87 Jahren.

René Wilke ist jetzt 33 Jahre alt - und er stellt seine eigenen Interessen zurück hinter die Belange der Kommune. Das hat er bewiesen, als er sich in einer Landtagsabstimmung über die umstrittene Kreisgebietsreform der Stimme enthielt. Dabei möchte René Wilke, dass Frankfurt (Oder) kreisfrei bleibt und nicht mit dem Landkreis Oder-Spree zusammengelegt wird. Aber hätte er sich im Parlament komplett verweigert, so wäre seine Verhandlungsposition geschwächt gewesen und er hätte keine finanziellen Zugeständnisse für seine Stadt herausschlagen können.

»Hätte ich die Pläne der rot-roten Koalition klar abgelehnt, wäre ich hier der große Held gewesen«, schätzt Wilke ein. »Aber es ist mir wichtiger, etwas für meine Stadt herauszuholen, als den Bonus zu kassieren. Ich würde es wieder so machen.« Zumal eine Gegenstimme das Projekt auch nicht gestoppt hätte.

Das eigentlich taktisch kluge Vorgehen könnte sich jedoch als Nachteil erweisen. »Nach meiner Ansicht ist meine Haltung glaubwürdig, aber viele verstehen es nicht«, weiß René Wilke. Die Enthaltung könnte im OB-Wahlkampf eine Angriffsfläche bieten, beispielsweise für den bisherigen Oberbürgermeister Martin Wilke (parteilos). Dem muss man eins lassen: Beim Kampf um die Kreisfreiheit hat er sich profilieren können. 2009 siegte Martin Wilke mit CDU, SPD, FDP und anderen im Rücken, auf deren Unterstützung er sich nun nicht mehr verlassen kann. Denn die CDU wird diesmal ihrer Kulturdezernenten Markus Derling ins Rennen schicken und die SPD ihren Sozialbeigeordneten Jens-Marcel Ulrich. Daneben will auch die AfD jemanden nominieren. Wer das sein wird, steht noch nicht fest. Die AfD darf bei den Überlegungen nicht vernachlässigt werden. Schließlich erzielte diese Partei bei der Bundestagswahl am 17. September in Frankfurt (Oder) 21,8 Prozent der Zweitstimmen. Zum Vergleich: Die CDU erhielt hier 23,2 Prozent, die LINKE 21,6 Prozent (SPD 15,8, FDP 6,1, Grüne 4,8 Prozent).

Von der Papierform her sieht es so aus, als seien die Chancen eines sozialistischen Kandidaten in Frankfurt (Oder) schlechter als früher. Tatsächlich verlor die LINKE hier allerdings bei der Bundestagswahl nur zwei Prozent. Im Landesmaßstab waren es etwas mehr als fünf Prozent. Und bei der Fülle ernstzunehmender Kandidaten könnte es René Wilke sogar leichter haben, in die Stichwahl zu gelangen. Er rechnet sich etwas aus. Er denkt, ein Sieg wäre drin. Sein ärgster Konkurrent werde wahrscheinlich, so glaubt er, Namensvetter Martin Wilke sein, mit dem er weder verwandt noch verschwägert ist.

Zwar habe Martin Wilke in acht Jahren nicht viel zustande gebracht, beklagt René Wilke. Der Oberbürgermeister sei in der Weltgeschichte herumgereist und auf Messen aufgetreten - immer in der Hoffnung auf den einen Großinvestor.

Doch über vermeintliche Großprojekte machen sich die Frankfurter keine Illusionen mehr. Aus der von arabischen Scheichs finanzierten Chipfabrik ist nichts geworden, die alternativ eingezogenen Solarmodulhersteller haben sich bis auf vergleichsweise klägliche Reste wieder zurückgezogen. Es gilt stattdessen, kleine Handwerksbetriebe und andere Unternehmen in dieser Größenordnung zu pflegen und so Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Es gilt, die Straßenbahn dauerhaft zu sichern, neue Fahrzeuge mit Fördermitteln vom Land Brandenburg anzuschaffen. Es gilt, Bewohnern der Innenstadt nicht die Anwohnerparkausweise wegzunehmen. Das sind Themen, um die sich René Wilke und seine Mitstreiter jetzt ganz aktuell und zum Teil auch schon früher gekümmert haben.

Die Wähler belohnten dies 2014, als René Wilke im Mai bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung mit Abstand die meisten Stimmen erzielte und dann im September den Landtagswahlkreis gewann.

Wie sich der 33-Jährige bei der abschließenden Landtagsentscheidung über die Kreisgebietsreform verhalten wird, das ist im Moment noch offen, wie er sagt. Finanzminister Christian Görke (LINKE) hat ihm vorgerechnet, dass sich die Haushaltssituation von Frankfurt (Oder) durch die Reform von drei Millionen Euro im Minus auf ein jährliches Plus von 15 Millionen Euro verbessern werde. Dagegen stehe, so berichtet René Wilke, eine Berechnung der Stadtverwaltung, die zu dem Ergebnis komme, dass es nach der Reform zwei Millionen Euro minus sein werden. Was nun stimme, sei zu klären und außerdem die Frage zu beantworten, ob Frankfurt (Oder) die Kreisstadt von Oder-Spree werden würde oder ob der Hauptsitz der Kreisverwaltung in Beeskow bleibe.

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