nd-aktuell.de / 06.10.2017 / Berlin / Seite 10

Milieuschutz gefordert

Einwohnerantrag für Erhaltungssatzung im Weitlingkiez mit fast 1300 Unterschriften

Slava Wagner

Unterschriftenübergabe im Rathaus Lichtenberg: Eine ganze Delegation besucht am Donnerstagvormittag die Stadträtin für Bürgerangelegenheiten, Katrin Framke (parteilos, für LINKE). Es sind die Mitglieder der Bürgerinitiative »Milieuschutz für den Weitlingkiez«. 1279 Unterschriften haben sie seit Juli 2017 für einen Einwohnerantrag gesammelt. Wenn 1000 gültige Unterschriften von Lichtenberger BürgerInnen zusammenkommen, muss sich die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mit dem Anliegen befassen, das die Initiative in ihrem Namen trägt.

Henriette van der Wall, Koordinatorin der Behördeninitiative hofft, dass nach der nun anstehenden Prüfung der Unterschriften der Antrag schon im November auf die Agenda der BVV kommt. Sie erwartet, dass »das Bezirksamt versteht, dass so viele Leute sich dafür einsetzen, die Strukturen in den Kiezen einigermaßen zu erhalten«.

Eine Milieuschutzsatzung, offiziell »soziale Erhaltungsverordnung« genannt, erschwert die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und kann Luxussanierungen verhindern. Dadurch könne dem rasanten Mietpreisanstieg entgegengewirkt werden, so die Initiatoren. Tatsächlich sprachen die Indikatoren der im Juli veröffentlichte Studie des beauftragten TOPOS-Instituts gegen die Ausweisung eines solchen Gebiets.

Dabei sei es wichtig, die Verdrängung alteingesessener MieterInnen zu verhindern. Denn damit verbunden sei ein »sozialer Strukturwandel« im Kiez, so van der Wall. »Es geht darum, das soziale Umfeld zu erhalten«. Es seien vor allem junge Leute, die in den teuren Wohnraum einziehen, und das kulturelle und soziale Leben im Kiez verändern.

Rund 40 Milieuschutzgebiete gibt es berlinweit, weitere kommen laufend hinzu. In Lichtenberg hingegen soll nur der nahe dem Ostkreuz gelegene Kaskelkiez zum Schutzgebiet werden. Der Weitlingkiez am Bahnhof Lichtenberg hingegen nicht.

Dabei zeigt dieses städtebauliche Instrument tatsächlich Erfolge im Kampf gegen die Gentrifizierung. Seit Inkrafttreten des Umwandlungsverbots von Miet- in Eigentumswohnungen im März 2015 ist diese in den Milieuschutzgebieten deutlich zurückgegangen. Vom ersten bis zum vierten Quartal ging dort die Zahl um 61,5 Prozent zurück. In Gebieten ohne entsprechende Verordnung stieg die Zahl der Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen dagegen um über 80 Prozent. Die galoppierenden Mieten werden so allerdings nur sehr bedingt gebremst.

Edgar Felger von der Bürgerinitiative konstatiert: »Die Milieuschutzsatzung ist nur einer von vielen Bausteinen, die es ermöglichen, Mietsteigerungen einzudämmen«. Doch die Satzung greift nicht bei bei ganz klassischen Neuvermietungen ohne Modernisierung. »Insofern sind meine Hoffnungen begrenzt. Der Kampf um die Milieus läuft auf eine gesellschaftliche Spaltung hinaus«, so Felger.

Auch van der Wall findet, dass die Problematik enorm steigender Mieten für alle Menschen im Kiez eine Rolle spiele, und »nur soziale Verwerfungen« schaffe, solange der Milieuschutz nicht errungen wird.

Zumindest Luxussanierungen könnten dann verboten werden. Darunter fallen der Einbau von Fußbodenheizungen, zweiten Bädern oder weiteren Balkonen.

Aktivist Olaf Ruhl, der seit 2003 im Weitlingkiez lebt, bezeichnet sich selbst als »der letzte, der noch Widerstand leistet gegen die geplante Modernisierung« in seinem Haus. Ende 2013 habe er per Post einen Bescheid über geplante Modernisierungsmaßnahmen erhalten. Bis heute führt Ruhl nach eigenen Angaen »Detailverhandlungen mit den Eigentümern«, sowohl per Post, als auch vor Gericht. Die Wohnungen über seiner Etage seien bereits umgebaut worden. Das bedeute eine Mieterhöhung um das Vielfache.

Eine Milieuschutzsatzung könnte weitere Luxussanierungen aufhalten, da diese genehmigungspflichtig werden würden. »Denke, die Chancen sind gut, dass das was wird«, meint Ruhl optimistisch, auch wenn er festhält, dass ein »Bevölkerungsaustausch« bereits stattgefunden habe.