nd-aktuell.de / 07.10.2017 / Politik / Seite 5

Türsteher unter Beobachtung

EU will libysche Küstenwache stärker kontrollieren / NGOs kritisieren Zusammenarbeit

Sebastian Bähr

»Alle Zeichen deuten auf Piraterie hin«, sagte Axel Steier, Mitbegründer der Seenotrettungsorganisation Lifeline gegenüber dem »MDR«. Eigentlich sollte die erste Mission der Dresdner Hilfsorganisation Ende September im Mittelmeer anders verlaufen. Zu Beginn wurde man laut der Schiffscrew wie üblich von der offiziellen Seenotleitstelle in Rom aufgefordert, ein kleines vor sich hintreibendes Holzboot mit 110 Flüchtlingen zu bergen. Doch dann, so berichten Augenzeugen, habe sich während des Einsatzes ein Schnellboot mit bewaffneten Libyern genähert. Die Flüchtlinge seien aus Panik ins Wasser gesprungen oder in Verstecke geflüchtet. Zwei der Libyer hätten dann das Rettungsschiff betreten und mit Kalaschnikows Schüsse abgefeuert.

Laut Axel Steier verlangten die Kämpfer die Herausgabe von Flüchtlingen aus Bangladesch. »Sie sind für Piraten die perfekten Opfer, weil ihre Familien zu Hause viel Geld für die Auslöse bezahlen.« Offizielle Hoheitszeichen hätten die Milizionäre nicht getragen. Die Dresdner wiesen daraufhin, dass sie sich während ihrer Mission in internationalen Gewässern befunden hätten, die Libyer behaupteten das Gegenteil. Nachdem die Crew die Übergabe verweigerte, seien die Kämpfer nach einigen Diskussionen wieder abgezogen.

Auseinandersetzungen wie diese sind kein Einzelfall. Immer wieder berichten NGOs von gefährlichen Angriffen der Libyer, die sowohl die Rettungsteams als auch die sich in Not befindenden Flüchtlinge in Gefahr bringen. Die Seenotrettungsorganisationen waren in der Regel außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone aktiv, wo die libyschen Hoheitsgewässer enden.

Im August rief die libysche Einheitsregierung jedoch - offenbar bedingt durch den Druck aus Rom und Brüssel - eine 74 Meilen große »Such- und Rettungszone« aus. Rechtlich entspricht dies keiner Hoheitszone, doch die Libyer kündigten an, in diesem Bereich mit Gewalt gegen NGOs vorzugehen. In der Folge stellten mehrere der Hilfsorganisationen aus Angst ihre Arbeit ein. Ein Gutachten der Wissenschaftliche Dienste des Bundestages von Anfang September erklärte, dass das libysche Vorgehen gegen das Völkerrecht verstößt. Die Behinderung von Rettungseinsätzen sei nicht zulässig.

NGOs und die LINKE fordern die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache, doch die EU, Italien und Deutschland behaaren weiter auf einer Kooperation. Der öffentliche Druck scheint dennoch Wirkung zu zeigen: Die EU-Mission Sophia will die libysche Küstenwache im Mittelmeer stärker überwachen, hieß es am Donnerstag aus Brüssel. So bald wie möglich solle eine Beobachtungsmission starten, sagte Konteradmiral Enrico Credendino. »Wir werden dann besser verstehen, warum sich die Küstenwache so verhält, wie sie sich verhält.« Zunächst werde man von internationalen Gewässern aus die Arbeit der Libyer beobachten, sagte der Befehlshaber. Nur auf Einladung der Nationalen Einheitsregierung in Tripolis sei auch ein Einsatz der EU-Beobachter in libyschen Gewässern denkbar.

Die Europäische Union bildet im Rahmen der seit 2015 laufenden Operation Sophia die libysche Küstenwache aus. Versuche herauszufinden, ob die von der EU ausgebildeten Einheiten an Angriffen auf NGOs beteiligt waren, verliefen laut Ärzte ohne Grenzen ins Leere. »Die EU nutzt das Fehlen von Transparenz, um nicht auf unsere Kritik reagieren zu müssen«, erklärte die Mitarbeiterin der Hilfsorganisation, Aurelie Ponthieu, gegenüber Medien. Laut der UN sind Teile der Küstenwache direkt mit Schleppernetzwerken verbunden; Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der LINKEN, nannte ihre Kämpfer »Schergen«.

Italien und die EU sind auf eine rabiate Grenzpolitik der Libyer angewiesen, um die Flüchtlingsbewegungen über die zentrale Mittelroute zu stoppen. Es wird sich zeigen, wie ernsthaft die Beobachtungsmission durchgeführt werden kann. Ein Großteil der Arbeit der Küstenwache würde aber auch nach den EU-Plänen offenbar gar nicht unter Kontrolle stehen: Tausende Flüchtlinge werden schließlich bereits in den Hoheitsgewässern abgefangen und wieder zurück auf das libysche Festland gebracht. Ein Ort, wo den Geflüchteten nach übereinstimmenden Berichten der UN, des Auswärtigen Amtes und von Journalisten Folter, Mord und Vergewaltigung drohen.