nd-aktuell.de / 07.10.2017 / Sport / Seite 12

Er versteht die Welt nicht mehr

Am Reck vergeigt der Russe Beljawski den sicheren Titel

Montreal. Als der Russe Dawid Beljawski den sicher geglaubten Titel bei der Turn-WM mit seinem Sturz vom Reck verschenkte, kamen doch wieder die Asiaten zum Zuge. Xiao Ruoteng aus China hat sich am Donnerstag (Ortszeit) in Montreal mit 86,933 Punkten zum Nachfolger des großen Kohei Uchimura zum Mehrkampf-Champion gekrönt. Serienweltmeister »King Kohei«, der alle wichtigen Mehrkämpfe seit 2009 beherrscht hatte und sechsmal in Serie den WM-Titel gewann, war wegen einer Fußverletzung im Vorkampf nicht in der Lage, seine Serie auszubauen.

Bundestrainer Andreas Hirsch hob die enorme Qualität des Wettkampfes mit ständig wechselnden Spitzenreitern hervor. »Alles bleibt in asiatischer Hand. Meine russischen Kollegen verstehen gerade die Welt nicht mehr«, schilderte Andreas Hirsch. Beljawski hätte schließlich nur seine Übung am Reck durchturnen müssen, und der erste Sieg eines Russen nach 18 Jahren hätte die asiatische Dominanz erschüttert. Doch der Ex-Europameister patzte, schüttelte nach dem Absturz immer wieder den Kopf und konnte sein Missgeschick auch Minuten später noch nicht begreifen.

Kohei Uchimura musste den Wettkampf von der Tribüne aus verfolgen und durfte sich darüber freuen, dass sein Landsmann Kenzo Shirai, der bisher als Sprung- und Bodenspezialist bekannt war, hinter dem zweiten Chinesen Lin Chaopan WM-Bronze rettete. »Koheis Verletzung ist eine Tragödie für mich und ganz Japan«, sagte Shirai und brachte seine Hochachtung für sein Turnidol zum Ausdruck.

Topfavorit Oleg Wernjajew aus der Ukraine leistete sich eine Serie von drei Stürzen. »Mich ärgert, dass er trotzdem noch Achter wird. Da sollten sich die Kampfrichter mal hinterfragen, ob sie einem anderen Gesicht nicht mehr Punkte abgezogen hätten«, beklagte Andreas Hirsch. Dass die deutschen Frauen seinen über Jahre erfolgreicheren Männern inzwischen den Rang abgelaufen haben, grämt den Coach nicht. »Ich empfinde das Gegenteil von Neid. Wir haben zehn Jahre die Fahne hoch gehalten. Ich habe kein Problem, dass die Frauen jetzt mehr Erfolg haben. Ich wünsche ihnen, dass sie hier Medaillen holen.«

Nur eine Nebenrolle spielte der deutsche Vizemeister Philipp Herder seinem Debüt in einem WM-Finale. Obwohl er an vier Geräten stabiler turnte als in der Qualifikation, kam der 24-jährige Physikstudent mit 80,166 Zählern nicht über Platz 18 hinaus. Dabei hatte er nach seinem Sturz am Sprung sogar schlimmeres befürchtet. »Wenn du auf Platz 22 landest, wird das bitter«, meinte der Berliner, der am Ende mit seiner Vorstellung aber noch ganz zufrieden war: »Ich habe mich wieder gefangen.« dpa/nd