nd-aktuell.de / 12.10.2017 / Kultur / Seite 17

Nicht gegen die Messe, aber gegen die Masse

Seit 22 Jahren gibt es in Frankfurt die »Gegenbuchmasse«, eine Lesereihe, die linken Verlagen eine Stimme geben will

Max Zeising

Putz bröckelt von den Wänden, Poster und Transparente hängen aus, es riecht nach abgestandenem Zigarettenrauch: Das Café »Exzess« im Frankfurter Stadtteil Bockenheim erweckt nicht gerade einen frischen Eindruck. Vom Glanz der Frankfurter Buchmesse[1], die von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron am Dienstag eröffnet wurde, ist der etwas heruntergekommene Schuppen jedenfalls ziemlich weit entfernt.

Und dennoch haben sich hier am Dienstagabend etwa 50 Menschen zusammengefunden, um einer Lesung aus dem Buch »Unter Sachsen« zu lauschen. Auf dem Podium sitzen Autorin Heike Kleffner, die das Buch gemeinsam mit dem Journalisten Matthias Meisner geschrieben hat, und der schwarze Aktivist und Blogger Ali Schwarzer. Abwechselnd lesen Kleffner und Schwarzer Passagen aus dem Buch vor: Es geht um rechte Gruppen in Sachsen, die gegen Linke und Geflüchtete hetzen, und um eine CDU, die wegschaut. »Ich bin aus Ostdeutschland weggezogen, weil ich es dort nicht mehr ausgehalten habe«, erzählt Ali Schwarzer.

So kurz nach der Bundestagswahl, bei der die AfD stärkste Kraft im Freistaat wurde, ist das ein hochbrisantes Thema. Die Lesung findet jedoch nicht auf der Buchmesse, sondern im Rahmen der »Gegenbuchmasse« statt, einer linken Alternative zum großen Messe-Event. Einer recht kleinen, wohlgemerkt. Bis Sonntag stehen gerade einmal 25 Veranstaltungen auf dem Programm. Kein Vergleich zur großen Schwester.

Doch der Anspruch der »Gegenbuchmasse« ist es auch nicht, eine ähnliche Größe zu erlangen. Vielmehr will man sich schwerpunktmäßig um jene Verlage kümmern, denen die Buchmesse zu groß geworden ist und die sich dort keinen Stand mehr leisten können. Insbesondere ihnen wollen die Initiatoren einen Raum bieten: »Wir sind gegen die Kommerzialisierung von Literatur«, stellt Adele Müsser aus dem Organisationskreis klar und fügt an: »Wir sind nicht gegen die Messe, sondern gegen die Masse.«

Thematisch wird dabei kein spezielles Motto verfolgt, sondern eine große Bandbreite abgedeckt: von Fußball über deutschen Protestantismus bis zu Polyamorie. Der Höhepunkt ist die große Lesenacht am Sonnabend. Die Veranstaltungen finden in verschiedenen alternativen Räumen in Frankfurt am Main statt, wie dem Café »Exzess«, dem »Centro« und dem »Club Voltaire«.

Nach der Lesung aus dem Buch »Unter Sachsen« sitzen Adele Müsser und ein Mann aus dem Organisationskreis, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, im Café und wirken entspannt. Bei einem Glas Rotwein erzählen sie, wie sie »das Ding hier gewuppt« haben, vor 21 Jahren. Damals, 1996, riefen sie die »Gegenbuchmasse« ins Leben: »Es gab in dieser Zeit zur Buchmesse selbst deutlich weniger Lesungen. Mittlerweile hat sich das geändert. Die Buchmesse hat auf uns reagiert.« Mit mehr als 20 Verlagen ist die »Gegenbuchmasse« heute in Kontakt, darunter Ch. Links, PapyRossa und Unrast. Gewiss sind keine rechten Verlage dabei, anders als auf der Buchmesse, wo der Antaios-Verlag Autor Akif Pirincci und Identitären-Chef Martin Sellner eingeladen hat. »Faschismus ist keine Meinung«, sagt Adele Müsser dazu.

300 bis 400 Leute kommen jedes Jahr zu den Veranstaltungen. Die alternative Lesereihe hat sich etabliert, wenn auch nur am Rand, und wird sogar im Programm der Buchmesse erwähnt. Ob es die »Gegenbuchmasse« auch in den nächsten Jahren noch geben wird, ist jedoch unklar. Die Veranstalter müssen von Jahr zu Jahr denken, denn sie arbeiten ausschließlich spendenbasiert. Der Eintritt ist frei, die Autoren erhalten kein Honorar.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1066902.frankfurter-buchmesse-wieso-gelang-es-rechtsradikalen-die-buchmesse-zu-praegen.html